Fränkisches Freilandmuseum Ein mittelalterliches Badhaus zieht ins Museum
Das Fränkische Freilandmuseum in Bad Windsheim ist um eine Attraktion reicher: Ein mittelalterliches Badhaus ist in Wendelstein ab- und im Museum wiederaufgebaut worden. Eine Rarität: Es ist das erste Badhaus in einem deutschen Freilandmuseum.
Von der viel befahrenen Nürnberger Straße biegt ein Sträßchen über eine kleine Brücke in den so genannten "Altort" von Wendelstein ab – so heißt das historische Ortszentrum. Unter der Brücke plätschert die Schwarzach. Gleich nachdem man den Fluss überquert hat, liegt rechts der Badhausplatz. Terrassenartig fällt er in mehreren Ebenen zum Ufer der Schwarzach ab. Auf Bänken und Steinstufen kann man sich niederlassen und dem kleinen Flüsschen auf seinem Weg durch Wendelstein zuschauen. Bürgermeister Werner Langhans freut sich über den neu gestalteten Platz.
"Das ist ein sehr lebendiger Platz. Wir haben hier an den Wochenenden viele Hochzeiten. Im August haben wir Sommerserenaden an den Sonntagen. Hier haben wir auch den Kirchweihauftakt durch den ökumenischen Gottesdienst. Es ist ein Platz, der voll akzeptiert ist. Und was auch schön ist: Durch den direkten Zugang zur Schwarzach haben wir wieder die Möglichkeit, dass Angler unten sind, dass Kinder baden können. Wir haben hier einen Platz, der die volle Akzeptanz erfahren hat. Er gehört dazu, als wäre er schon immer hier gewesen."
Werner Langhans, Bürgermeister von Wendelstein
Den Badhausplatz in seiner jetzigen Form gibt es aber erst seit ein paar Jahren. Viele Wendelsteiner erinnern sich noch, was zuvor hier stand: Ein altes, herunter gekommenes Fachwerkhaus. Mal war ein Viehhändler dort untergebracht, mal eine Bäckerei. Seit 1991 stand das Haus leer und war – obwohl es unter Denkmalschutz stand – scheinbar endgültig dem Verfall Preis gegeben. Einen Schandfleck schimpften es die Wendelsteiner.
Hinter der Fassade des Schandflecks steckt ein Juwel
Ende der 1990er Jahre finden Bauforscher heraus, dass hinter der abbruchreifen Fassade des Wendelsteiner "Schandflecks" ein Juwel steckt: Ein spät-mittelalterliches öffentliches Badhaus, errichtet 1450. Es ist, so die Forscher, das älteste noch erhaltene Badhaus in Deutschland. Die Marktgemeinde Wendelstein versucht mehrere Jahre lang, das Haus in ihren Besitz zu bringen. Aber erst 2011 sind die privaten Besitzer, die die leerstehende Ruine als Abschreibungsobjekt benutzen, bereit zu verkaufen.
Ein ganzes Gebäude muss umziehen – Stück für Stück
Zu diesem Zeitpunkt ist bereits klar: Wendelstein kann die Sanierung und Wiederherstellung des historischen Badhauses nicht alleine stemmen. Bürgermeister Werner Langhans bietet das Haus dem Fränkischen Freilandmuseum in Bad Windsheim als Museumsobjekt an. Der damalige Leiter Konrad Bedal erkennt sofort, welchen Schatz er da heben kann. Schon im darauffolgenden Winter kommen die wissenschaftlichen Mitarbeiter des Museums nach Wendelstein. Im Frühjahr 2012 rücken schließlich die Bauarbeiter an.
"Wir übertragen nicht das Gebäude am Stück, dafür ist es zu groß. Sowas gibt’s auch, aber in kleineren Maßstäben. Wir zerschneiden die Wände, ganze Wandscheiben schneiden wir aus dem Gebäude heraus. Die werden dann auf einen Transportrahmen gestellt. Dann kommen Schwerlastkräne, die die Wände anheben und auf Tieflader zum Transport stellen. Dann werden sie ins Museum gefahren und dann umgekehrt wieder aufgebaut, also zusammen gesteckt sozusagen."
Dieter Gottschalk, Restaurator
Das sei ein bisschen wie Lego, nur komplizierter, sagt Dieter Gottschalk, Restaurator im Fränkischen Freilandmuseum. Die Tieflader verlassen Wendelstein und bringen ihre kostbare Fracht ins Magazin des Fränkischen Freilandmuseums. Das Badhaus wird in seinen Einzelteilen vorübergehend eingelagert und soll zu einem späteren Zeitpunkt wieder aufgebaut werden.
Badhäuser im Mittelalter: Orte der äußeren und inneren Reinigung
Wer im 15. und 16. Jahrhundert in ein öffentliches Badhaus ging, der wusch sich nicht nur. Der Besuch diente der äußeren und inneren Reinigung. "Der Körper des Menschen hat in sich Blut und Schleim und gelbe und schwarze Galle (…). Am gesündesten ist er, wenn diese Säfte im richtigen Verhältnis ihrer Kraft und ihrer Quantität zueinander stehen und am besten gemischt sind. Schmerzen hat er, wenn etwas von ihnen zu viel oder zu wenig vorhanden ist oder sich im Körper absondert und nicht mit dem Ganzen vermischt ist." Polybos, ein Schwiegersohn des legendären Hippokrates, gilt als Begründer der 4-Säfte-Lehre. Sie war im Mittelalter und der frühen Neuzeit weit verbreitet. Im Badhaus wurde geschwitzt, geschröpft und zur Ader gelassen, um üble Säfte im Körper loszuwerden. In der Ausstellungsscheune des Fränkischen Freilandmuseums dokumentieren Bilder, Schriften und Ausgrabungsfunde das mittelalterliche Badewesen. Bei Ausstellungsmacherin Susanne Grosser laufen die Forschungen zusammen.
"Wir wissen, dass die gesamte Bevölkerung da hingegangen ist: Bürger, Bauern, Gesinde – Männer und Frauen. Wobei es ab dem 16. Jahrhundert Vorrichtungen gab, um Frauen und Männer zu trennen. Es ist also durchaus züchtig zugegangen, indem man zum Beispiel Trennwände eingezogen hat oder indem man die Badezeiten getrennt hat. Die Männer hatten eine Art Badeschurz, ein Tuch um die Lenden. Und die Frauen hatten eine so genannte Bad-Ehr. Das war ein einfaches Tuch, das man sich vorne umgeknotet hat, so dass zumindest der Oberkörper von vorne bedeckt war bei den Damen."
Susanne Grosser, Freilandmuseum Bad Windsheim
Mit Badeschurz oder Bad-Ehr bekleidet saß man in der eigentlichen Badstube rund um den großen Schwitzofen – ähnlich wie heutzutage in der Sauna.
"Man hat sich auch vor und während des Schwitzens immer wieder mit Aschenlauge – ein Vorläufer der Seife, war billiger, indem man Buchenasche gefiltert hat durch einen Sack und dann hat man eine leicht basische Flüssigkeit bekommen – mit der konnte man sich abwaschen und hat sich auch immer wieder zwischendurch abgegossen. Und am Ende hat man sich mit der Aschenlauge auch noch die Haare gewaschen und sich die Haare schneiden lassen vom Bader oder seinen Knechten."
Susanne Grosser, Freilandmuseum Bad Windsheim
Wiederaufbau des Badhauses im Museum
2017 beginnt der Wiederaufbau des Wendelsteiner Badhauses in der "Baugruppe Mittelalter" des Fränkischen Freilandmuseums. Restaurator Dieter Gottschalk und seine Mitarbeiter haben beim Abbau des Badhauses jeden einzelnen Sandsteinquader nummeriert. In umgekehrter Reihenfolge werden sie nun wieder aufeinandergesetzt und bilden das Erdgeschoss. Darauf kommen die Fachwerkwände und der Dachgiebel. Am ursprünglichen Standort in Wendelstein haben die Restauratoren originale Dachziegel aus dem 15. Jahrhundert gefunden. Nach ihrem Vorbild werden in der museumseigenen Ziegelei über 8.000 Dachziegel für das Badhaus eigens gebrannt.
Niedergang der Baddhäuser im 16. Jahrhundert
Im 16. Jahrhundert hatte jede Stadt und jedes größere Dorf in Franken ein eigenes Badhaus. Doch noch im gleichen Jahrhundert begann der Niedergang der öffentlichen Badstuben – aus mehreren Gründen, sagt Susanne Grosser, Medizinhistorikerin und wissenschaftliche Mitarbeiterin im Fränkischen Freilandmuseum.
"Oft heißt es, man hatte Angst vor Ansteckung. Das stimmt auch. Wir kennen das aus vielen Quellen, dass dem Bader vorgeworfen wurde, man habe sich durch das Schröpfbesteck oder andere Dinge mit der Syphillis angesteckt – das war die große Seuche des 16. Jahrhunderts. Noch wichtiger nach unserem Quellenstudium ist aber, dass der Holzpreis stieg. Das Holz wurde immer teurer, das der Bader einkaufen musste. Wenn man sich unseren mächtigen Badofen anschaut, dann kann man sich vorstellen, wie viel Holz der verschlungen hat. Das war ein Wirtschaftsfaktor. Die Bader haben dann darum gebeten, dass der Badepreis steigen darf. Das hat dann die Leute dazu animiert, dass immer mehr private Badstüblein gebaut wurden. Zum Teil wurden die Bader dann in diese privaten Badstüblein eingeladen, um dort zu schröpfen. Aber der Besuch in den öffentlichen Badstuben ging zurück."
Susanne Grosser, Freilandmuseum Bad Windsheim
Der Bader: ein mittlerweile ausgestorbener Berufsstand
Auch wenn die Badhäuser langsam verschwanden – der Beruf des Baders blieb. Er war nicht nur für Aufgüsse, Haarschnitte und Schröpfköpfe zuständig. Der Bader war zugleich Zahnarzt, Wundarzt, Knochen-Einrenker und Leichenbeschauer. Die so genannte "Leibarznei" – heute würde man Innere Medizin sagen – war den studierten Medizinern vorbehalten. Alles andere galt als Handwerk und wurde dem Bader überlassen. Auf dem Land, wo es kaum niedergelassene Ärzte gab, stellten die Bader bis ins 20. Jahrhundert hinein zumindest eine rudimentäre ärztliche Versorgung sicher.
"Der Vater war ein guter Mann. Der war beliebt draußen bei der Kundschaft, wo er hin musste. Da hat er zu den alten Leuten gemusst: Ader lassen, Blutegel setzen. Wenn die alten Leute Bluthochdruck hatten, hat er Blutegel setzen müssen."
Hans Merkel († 2020), Sohn eines Baders
Kurz vor seinem Tod 2020 konnte Hans Merkel aus Hiltpoltstein in der Fränkischen Schweiz mit uns über seinen Vater Friedrich Merkel sorechen. Der war einer der letzten fränkischen Bader. Hans Merkel wohnte zeitlebens in seinem Elternhaus, dem ehemaligen Bader-Haus in Hiltpoltstein. An seinen Vater konnte sich der 97-Jährige noch gut erinnern.
"Da drüben das Zimmer war extra als Badstube ausgebaut. Und da hinten runter war ein Weg für die Allgemeinheit. Da mussten die Leute, die ansteckende Krankheiten hatten, da hinten runter laufen in das Badezimmer rein. Dann sind die hier gebadet worden. Und der Staat hat das Holz dazu gegeben, dass man den Ofen schüren konnte."
Hans Merkel († 2020), Sohn eines Baders
1936 eröffnete der erste Allgemeinarzt im benachbarten Gräfenberg eine Praxis. Hans Merkels Vater verlor einen Teil seiner Zuständigkeiten: Um ansteckende Krankheiten und Knochenbrüche durfte sich Friedrich Merkel nicht mehr kümmern. Seine Frau und er eröffneten stattdessen einen kleinen Lebensmittelladen. Zum Haare schneiden und Bärte pflegen kamen die Hiltpoltsteiner aber immer noch zu ihm – dem ehemaligen Bader.
Letzte Arbeiten am mittelalterlichen Badhaus
Ende 2019 ist aus dem hässlichen Entlein, das einst am Schwarzach-Ufer in Wendelstein stand, wieder ein Schwan geworden. Zum ersten Mal ist das restaurierte Badhaus ohne Gerüst an seinem neuen Standort in Bad Windsheim zu sehen. Über dem Sandsteinsockel erhebt sich ein mächtiges Fachwerk von mehreren Etagen. Das rote Ziegeldach ragt spitz und steil in die Höhe. Restaurator Dieter Gottschalk steht im Erdgeschoss in der Badstube, dem wieder aufgebauten Herzstück des spät-mittelalterlichen Badhauses. Die Deckenhöhe bis zu den schweren dunklen Holzbalken beträgt vier Meter, ein ungewöhnlich hoher Raum für ein Haus aus dem 15. Jahrhundert. Ein riesiger gemauerter Schwitzofen steht rechts in der Ecke.
"In diesem Ofen befinden sich Badsteine – ich nehm da grad mal einen raus, die sind sehr schwer – das sind Kieselsteine, die wie in einem römischen Dampfbad aufeinander geschlichtet sind. Sie werden von unten erhitzt durchs Feuer, von der Außenseite eingeschürt. Die Steine werden irgendwann sehr heiß, und wenn sie heiß genug sind, werden sie mit Wasser übergossen, und dann entsteht sehr viel Dampf."
Dieter Gottschalk, Restaurator
Im ersten und zweiten Stock des ehemaligen Badhauses aus Wendelstein fanden im Sommer 2020 die letzten Handwerkerarbeiten statt. Die einzelnen Zimmer – Stuben, Schlafzimmer und Küchen – waren da schon rekonstruiert. Hier wohnte der Bader mit seiner Familie. Weitere Wohneinheiten waren an externe Handwerker vermietet, die im Badhaus lebten und arbeiteten.
Offizielle Eröffnung im Frühjahr 2021
Zum Saisonstart 2021 wurde das Wendelsteiner Badhaus im Fränkischen Freilandmuseum in Bad Windsheim offiziell eröffnet. Die Innenräume sind für die Besucher zugänglich. Dort ist ganz praktisch zu sehen, wie der Badebetrieb im 15. und 16. Jahrhundert ablief. Der große Schwitzofen wird an ausgewählten Badetagen befeuert und angeheizt, berichtet Museumsleiter Herbert May.
"Man kann dann dort ein Schwitzbad einnehmen oder ein Wannenbad – aber jetzt nicht jeder Besucher, soweit können wir es nicht treiben. Es sind bestimmte Gruppen, vor allem Living-History-Gruppen, die das Badhaus bespielen. Da können die Besucher mal reinschauen und sehen, aha, so eine Kraft hat der Ofen, dass er die große Badstube bis in jede Ecke beheizen kann. Also wir zeigen sehr anschaulich, wie es früher in den Badhäusern zugegangen ist."
Herbert May, Museumsleiter
Das imposante Badhaus von 1450 hat einen weiten Weg hinter sich. Fast wäre es für immer verloren gewesen. Nun darf es wieder in voller Schönheit strahlen. Die Marktgemeinde Wendelstein hat dafür einen Teil ihrer Geschichte hergeben müssen. Aber bei Bürgermeister Werner Langhans überwiegt der Stolz.
"Dieses Haus hat den Charakter verloren, es wurde nicht mehr so gewürdigt über die Jahrhunderte hinweg. Und in Bad Windsheim haben wir jetzt mit Stolz ein Haus aus Wendelstein, das der breiten Öffentlichkeit zugänglich ist. Wir haben ein Kleinod, auf das man schon stolz sein kann, das hier in Wendelstein nie so zur Geltung gekommen wäre."
Werner Langhans, Bürgermeister von Wendelstein