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Das Staatsarchiv für Niederbayern 60 Jahre nach dem Brand der Landshuter Burg Trausnitz Eingebrannte Gedächtnislücken

60 Jahre ist es her, dass die Landshuter Burg Trausnitz brannte. Neben Architektur- und Kunstschätzen wurden damals auch zahlreiche Archivalien des auf der Burg untergebrachten Staatsarchivs für Niederbayern vernichtet oder schwer beschädigt.

Von: Tanja Gronde

Stand: 15.10.2021 | Archiv

Das Staatsarchiv für Niederbayern 60 Jahre nach dem Brand der Landshuter Burg Trausnitz: Eingebrannte Gedächtnislücken

Wie ein Lauffeuer breitet sich am Morgen des 21. Oktober 1061 die Nachricht in Landshut aus: Die Burg brennt. Das Stammschloss der Wittelsbacher, eine der größten und kostbarsten Burganlagen Bayerns steht in Flammen. Die Löscharbeiten verlaufen chaotisch. Zuerst müssen die Schlüssel gesucht werden, es gibt keinen Einsatzplan, Zufahrt und Aufstellmöglichkeiten für die Feuerwehr sind problematisch, die Grundrisse der dreistöckigen Anlage sind verwirrend. Das Löschwasser vor Ort reicht nicht, die Zisterne ist bald leer. Wasser muss von der Altstadt, aus dem Grundwasser der Isar heraufgepumpt, zusätzlich auf dem steilen Weg zur Burg angefahren werden. Es ist ein Rennen gegen die Flammen.

"Das ist ein Riesenbrand gewesen, den man von der Stadt aus nicht gesehen hat, weil es an diesem Morgen sehr neblig war. Man hat erst was gesehen, wie man fast dort war. Vor Ort. Am Anfang hat es gar nicht so schlimm ausgeschaut, aber durch diese Bauart der Burgen mit den sehr großen Fehlböden hat es eine Rückzündung gegeben und der ganze Burgtrakt ist in Flammen gestanden."

Elmar Schlittmaier, Feuerwehr Landshut, damals 19 Jahre alt

Zeitgleich gilt es Unmengen Archivalien zu retten. Denn: In der Burg lagert das Staatsarchiv Niederbayern; 20 Kilometer Akten aus vielen Jahrhunderten; staatliche Urkunden, aber auch Brief- und Verhörprotokolle. Die Identität eines Regierungsbezirks. Die Bundeswehr wird angefordert. Man versucht, die riesigen Regale mit Planen vor dem Löschwasser zu schützen, das Schriftgut wird mit Hilfe von Menschenketten in den Burghof befördert.

Erst Sonntagnachmittag, nach rund 37 Stunden, gilt der Brand als gelöscht mit einer traurigen Bilanz. Der Einsatz beim Großfeuer kostet einen Feuerwehrmann das Leben, einige werden verletzt. Denn Mauern stürzen ein, Steine prasseln nieder. Ganz Landshut ist schockiert. Eines der herausragenden Wahrzeichen der Stadt über Nacht ruiniert. Die Renaissancetrakte der Burg sind größtenteils zerstört und dann das Staatsarchiv: Tonnenweise gebundene Akten-Bücher. Ledereinbände, Papier, Pergamente: Angekokelt, verbrannt, durchnässt. Das Gedächtnis Niederbayerns liegt verteilt im Burghof, auf Lastwägen oder unter Trümmern begraben.

Es ist die größte Katastrophe der bayerischen Archivgeschichte. 300 laufende Meter Archivgut sind unwiederbringlich weg. 8000 bis 9000 Archivalien mit ca. 2,5 Millionen Blatt schwer beschädigt: Angebrannt, vom Löschwasser durchfeuchtet, schimmel- und pilzgefährdet, durch Schutt und Asche verschmutzt.

Ein Schaden solchen Ausmaßes war damals unbekannt. Die vom Löschwasser aufgeweichten Bände wurden teilweise nach München gefahren, teilweise blieben sie in Landshut, im Depot der Sparkasse. Auch im Münchner Hauptstaatsarchiv lagen die Bücher. Als ideal dafür stellte sich der Heizungskeller der heutigen Musikhochschule in München heraus. Sogar in der Hopfendarre eines Bauern aus der Holledau trockneten Archivalien. Briefprotokolle statt Hopfendolden. Teilweise wurden die Blätter sogar einzeln getrocknet, in einer Pfefferminztrocknungsanlage. Not macht erfinderisch! Niemand hatte bis dahin Erfahrung mit solchen Papierbergen. Es war ein Wettlauf gegen die Zeit. So griff man auch zu zweifelhaften Methoden. Angekohlte Seiten wurden mit einer Laminiermaschine in Kunststoff eingeschweißt.

"Man hat die Seiten laminiert und hat aber diese angekohlten Ränder. Die hat man gelassen und versucht, so viel von den Seiten zu erhalten, wie irgendwie möglich. Man kann nur Ausschnitte oder Teile davon lesen. Mit ein bisserl Glück findet man die nötigen Informationen. Aber wenn da irgendwelche Absprachen getroffen werden, die dann irgendwo im Text auf der Seite ganz unten stehen, dann konnten die Informationen verloren sein."

Elisabeth Weinberger, Bayerisches Hauptstaatsarchiv München

Das Laminieren in Kunststofffolien erwies sich nicht als Lösung für die Ewigkeit. Die Seiten zeigen nach den Jahrzehnten Vergilbungen, manche Blätter wellen sich, wodurch auch die Bände an Volumen zugenommen haben.

Noch sind längst nicht alle Archivalien restauriert. Die beschädigten Seiten beschäftigen die Restaurierungswerkstatt des Hauptstaatsarchivs immer noch: Immer wieder gibt und gab es einzelne Projekte für all das, was bis 1965 nicht bearbeitet werden konnte. Neuen Techniken wie das Papierspaltverfahren wurden entwickelt. Dabei wird das Papier quasi in seiner Dicke halbiert und auf einem Trägerpapier beidseitig wieder aufgeklebt, so kann man auch den Text retten, der im verrußten oder verkohlten Bereich eines Papiers zu lesen oder besser zu ahnen ist. Ein anderes Verfahren ist das sogenannte Anfasern. Ähnlich wie beim Papierschöpfen wird das Papier mit neuen Papierfasern ergänzt und stabilisiert, damit wieder irgendwie heil gemacht, ergänzt und wird so stabil.

Johannes Stoiber, Diplomarchivar StALa, zeigt ein Briefprotokoll mit Brandschaden

Seit 2005 erfolgt eine Schadensanalyse der letzten noch unrestaurierten 1.000 Briefprotokollbände des Staatsarchivs Landshut. Die Verfahren sind aufwendig, kostspielig und zeitintensiv. Warum macht man sich die Mühe? Weil diese alten Protokolle von Hofüberschreibungen, Erbschaften und Auszahlungen der Altenteile immer noch interessant oder sogar relevant sind für Erbenermittler, Historiker, Heimat- oder Familienforscher. Briefprotokolle sind Sammlungen von Verbriefungen, also Beurkundungen, privatrechtlicher Natur: Heiratsverträge, Verkäufe, Hypotheken, Schuldverschreibungen. Alles was mit Geld, aber natürlich auch dem Leben der Personen dahinter zu tun hatte, wurde aufbewahrt. In dicke Lederbücher gefasst. Ein Band kann so 120 Jahre einer Gemarkung enthalten, eines Hofes, einer Gemeinde. Wie kommt der Hof meiner Familie überhaupt zu uns oder warum haben meine Vorfahren dieses Grundstück verkauft, all dies kann man aus den Briefprotokollen herauslesen.

"Der Brand wird insofern auch ein bisschen lebendig, wenn man da blättert und man dann den Geruch des verkohlten oder angekohlten oder angeschwitzten Papiers in die Nase bekommt. Oder man ist auch ziemlich schmutzig. Oder wenn es dann ganz fehlen und ist heute sehr bedauerlich. Einmal mehr für alle, die jetzt forschen , aber auch später in Zukunft."

Maximilian Utz, Archivbenutzer

Das Gedächtnis von Niederbayern ist nicht mehr vollständig. Eingebrannte Erinnerungslücken des alten bayerischen Unterlands, das einst von Erding bis in den Bayerischen Wald reichte. Als das Staatsarchiv Mitte der 70er Jahre die restaurierten Räume des Fürstenbaus der Burg Trausnitz wieder beziehen konnte, wurden die Gedächtnislücken erst so richtig bewusst.

"Es war einfach traurig. Man musste immer wieder feststellen, dass Dinge, die bekannt gewesen waren, die man Menschen der Gegenwart hätte sagen können, weg waren, unwiederbringlich weg waren, verloren waren und das Wissen damit auch verloren war. Also es verging keine Woche, ohne dass ich irgendwelchen Leuten sagen musste tut mir leid, das, was sie suchen, finden Sie hier bei uns nicht mehr, weil die Zeugnisse eben verbrannt sind."

Martin Rüth, Archivdirektor Staatsarchiv Landshut

Die Landshuter Erfahrungen und die damals entwickelten Rettungs- und Restaurierungstechniken halfen bei der Bewältigung der Brandfolgen in der Herzogin Anna Amalia Bibliothek in Weimar 2004 oder nach dem Einsturz des Kölner Stadtarchivs 2009.

Regalwand des neues Archivs - 20 km Akten sind hier eingelagert

Bis 2016 wurde die jahrhundertealte Archivtradition in den wiederaufgebauten Räumen auf der Burg Trausnitz fortgeführt. Mittlerweile aber arbeiten auch die Landshuter Archivare in einem modernen Neubau unten in der Stadt. Lichtgeschützt, klimatisiert, trocken und vor allem brandsicher. So sieht das neue Zuhause der alten Papiere im Staatsarchiv Landshut aus. 20 Kilometer Akten, Platz für weitere 20. Denn das Archiv wächst ja ständig. Was hier rein kommt, bleibt. Für die Ewigkeit, für die Wissenschaft, für die Forschung, für die Identität. Geschrieben mit Feder, Tusche, Kugelschreiber, auf Hadernpapier, Bütten, Karten, Urkunden. Echte Papiere, geschrieben von echten Menschen. Zur ewigen Erinnerung. Hoffentlich.


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