Bayern genießen Frisch - Bayern genießen im März
Frisch. Ein hochinteressantes Wort und durch und durch deutsch - warum, das wollen wir unter anderem hier klären.
Hier unsere Genuss-Themen aus den bayerischen Regionen rund ums Motto "Frisch"
Oberbayern: Frisch gebadet. Bestseller-Autor Steffen Kopetzky und seine Regentonne. Von Sarah Khosh-Amoz
Niederbayern: Frisch geworfen. Jetzt kommen die jungen Wildschweine zur Welt. Von Thomas Muggenthaler
Oberpfalz: Frisch verliebt. Wassilij Kandinsky und Gabriele Münter in der Sommerfrische. Von Uli Scherr
Oberfranken: Frisch gebacken. Bamberger Kunigundenringe. Von Anja Bischof
Mittelfranken: Frisch gerührt. Fränkischer Ziebeleskäs. Von Tobias Föhrenbach
Unterfranken: Frisch geerntet. Neuigkeiten aus dem Garten. Von Anke Gundelach
Schwaben: Frisch gemolken. Spezialitäten aus Allgäuer Milch. Von Doris Bimmer
Frisch gebadet: Steffen Kopetzkys Eisbad
Frisch: Das ist keineswegs ein Euphemismus, also eine sprachliche Verharmlosung offen fühlbarer Kälte, sondern ein ganz eigenständiges süddeutsches und damit hochdeutsches Wort für kalt. Das Wort ist gewissermaßen beispielhaft für die Entstehung des Deutschen aus seinen beiden Vorgängersprachen - dem Romanisch-Lateinischen und dem Germanischen und zeigt, wie schließlich beide zu einer untrennbaren Einheit verschmolzen sind. Althochdeutsch frisc heißt frisch. Im Lateinischen gibt es das Wort frigeo = ich friere und frigidus = kalt. Fresk hat in den germanischen Sprachen immer so viel bedeutet wie jung, neu, unbearbeitet. Beide Wörter haben ihren Weg zunächst selbständig weitergeführt. Aus frigidus wurde romanisch frigido, italienisch freddo. Aus dem germanischen fresk wurde zum Beispiel englisch fresh. Aber das germanische Wort ist im frühen Mittelalter auch nach Italien gekommen. Der bekannteste Worterbe ist italienisch fresco der neue, frische Putz, auf den die Künstler ihre Fresken gemalt haben. Bei uns im Alpenvorland, wo das Deutsche aus seinen romanischen und germanischen Wurzeln entstanden ist, da sind germanisch fresk und italienisch frigido miteinander zu alt- und mittelhochdeutsch frisc bzw. vrisch verschmolzen. Und mit den Wörtern haben sich auch die Wortbedeutungen vermischt: Frisch heißt bei uns beides: Neu, unberührt, jung und kalt gleichermaßen. Wenn der Pfaffenhofener Bestsellerautor Steffen Kopetzky in seine dafür extra gereinigte Regentonne steigt, um ein Eisbad zu nehmen, dann frischt er sich natürlich nicht ab - das hat er bei diesen frischen Temperaturen nicht nötig - aber er kommt erfrischt heraus. Als neuer Mensch sozusagen…
Frisch geworfen: Frischlinge
Vrisch! Wichtig bei uns im Süden ist das lange i,wie auch in Disch oder Visch. Neuhochdeutsch hat sich das lange i von frigido, das im Mittelalter noch überall gang und gäbe war, bloß im Bairischen erhalten: Vrisch. Wenn er aufn Disch kommt is a Visch hoffentlich vrisch. Wobei - auch wenn ein Fisch ein Kaltblüter ist - aufm Tisch sollte er schon warm sein. Also warm und frisch. Hier kommt halt der germanische Wortbedeutungsanteil von frisch zum Tragen: Unberührt, neu. Deswegen gibt's auch Leute, die stoßen sich dran, wenn zum Beispiel - wie man häufig hört oder liest - von einer frisch renovierten Wohnung die Rede ist: Renovieren heißt erneuern. Und neu erneuern wär halt doppelt gemoppelt. Da muss man aber einschränken: Frisch kann nicht nur ein Adjektiv sein, sondern auch ein Adverb, also ein Beiwort zu einer Tätigkeit. Und da bedeutet es auch soviel wie jüngst. Und gegen eine jüngst renovierte Wohnung ist nun wirklich nix einzuwenden. Nur vor diesem Hintergrund ist zu verstehen, warum junge Wildschweine, die jetzt im März auf die Welt kommen, also jüngst geboren sind, Frischlinge heißen. Wer in den nächsten Wochen im Wald unterwegs ist, sollte höllisch aufpassen, dass er nicht einer frisch führenden Bache begegnet. Eine solche kann nämlich höchst ungemütlich werden. Da ist es weitaus komfortabler und genussvoller, sich zum Beispiel auf dem "Wild-Berghof" in Buchet im Landkreis Deggendorf damit zu beschäftigen.
Tipp für Wildschweingerichte
"Man kann den Nacken in der Röhre braten und normal wie einen Schweinsbraten mit Bier aufgießen. Das ist etwas ganz Herzhaftes. Die mageren Stücke von der Keule schmort man in einem Topf, die werden mit Rotwein aufgegossen, da kommt eine schöne Wild-Soße dazu und nicht zu verachten sind das Gulasch und Wildschweinpflanzerl, die gehen bei uns schon sehr gut."
Sigrid Gstettenbauer, Seniorchefin im 'Wild-Berghof' in Buchet, Landkreis Deggendorf
Frisch verliebt: Wassilij Kandinsky und Gabriele Münter in Kallmünz
Mit dem Beginn der Fastenzeit am Aschermittwoch war in den alten Bauerngesellschaften auch die lange Fest-, Ferien- und Freizeit zu Ende, die im Prinzip den ganzen Winter über gedauert hat. Im Winter war ja nicht viel zu tun und man konnte freimachen, sich Zeit, Weile nehmen. Schlenkelweil hat man bei den Bauern früher dazu gesagt, wenn man sich derweil lassen konnte mit der Arbeit, um angenehmeren Beschäftigungen nachzugehen. Dazu musste man sich allerdings die Erlaubnis seines Herrn holen, eben Erlaub, Urlaub nehmen. Außer es war eh ein offizieller Feier-, beziehungsweise Ferientag. Das deutsche Feier und das lateinische feria sind ja das gleiche Wort. Wir sagen heute Ferien und Urlaub, wenn wir eigentlich Freizeit meinen. Und dafür haben wir ein paar Wochen im Jahr, bevorzugt im Sommer, wo wir unter anderem an Orte fahren, die früher bei Adligen und reichen Bürgern schon beliebt waren. Allerdings unter anderem Vorzeichen. Im Winter hat man die Stadt, ihre Bequemlichkeiten und Unterhaltungsmöglichkeiten in großer Gesellschaft geschätzt, in der warmen Jahreszeit aber ist man für einige Monate umgezogen ins Landhaus, auf den Sommersitz, um der Hitze und dem Gestank der Stadt zu entkommen. Man fuhr in die Sommerfrische. Dort konnte man sich erfrischen in beiden Wortbedeutungen. Es war nicht nur kühler, man konnte auch neue Kräfte tanken, sich erneuern. Unter anderem auch deswegen, weil mans insgesamt lässiger angehen konnte, schließlich war man auch der sozialen Kontrolle seiner gewohnten Umgebung entzogen. Man kam auf andere Gedanken, begegnete anderen Menschen - es war Frühling, möglicherweise Mai - und auf einmal war man frisch verliebt. So wie eines der berühmtesten Liebespaare der Kunstgeschichte: Gabriele Münter und Wassily Kandinsky, die sich vor bald 120 Jahren während einer Sommerfrische an einem der Sehnsuchtsorte deutscher Landschaftsmaler kennenlernten: in Kallmünz in der Oberpfalz. Wir können auf ihren Spuren Wandern: Auf einem Vorfrühlingsspaziergang durch die Sommerfrische Kallmünz hinauf auf den Kallmünzer Burgberg, wo sich Kandinsky und Münter gegenseitig gemalt haben. Oder in der Kunstgalerie von Martin Mayer am Bergsteig 1 (gleich neben der Kirche).
Frisch geerntet: Neuigkeiten aus dem Garten
Im ewigen Kreislauf aus Werden und Vergehen stehen die Zeichen jetzt eindeutig und für jeden sichtbar auf Anfang. Bevor die Römer ihren Neujahrstag auf den Zeitraum der Wintersonnenwende gelegt haben, war der März der erste Monat des neuen Jahres. Was erstens erklärt, warum der damals zwölfte Monat, Februar bis heute der Rumpfmonat ist, für den einfach nicht mehr genug Tage vorhanden waren, und warum September, Oktober, November und Dezember immer noch so heißen, obwohl sie längst nicht mehr siebter, achter, neunter und zehnter Monat des Jahres sind. In der Wintersonnenwende hat der Tag zu wachsen begonnen; unmerklich zunächst, mittlerweile aber ist er schon mehr als drei Stunden länger geworden und damit auch heller und frischer. Das Jahr ist noch frisch, und endlich ist, obwohl es noch ziemlich frisch ist, der Frühling, der meteorologische zumindest, ganz frisch eingekehrt. Ich kenn eine ganze Reihe Leute, die um diese Zeit voller Unruhe sind, weil sies schon gar nicht mehr erwarten können, dass es endlich draußen wieder aufgeht, auf dem Feld. Oder zumindest im Garten, jetzt wo Schneeglöckerl und Krokus längst blühen und dem tristen Wintergrau wieder ein bisserl frische Farbe entgegensetzen. Typische Frühlingsblüher wie Primeln, Narzissen oder Stiefmütterchen oder Gänseblümchen machen Lust auf Ostern und die wärmere Jahreszeit.
Marianne Scheu-Helgert, Chefin der Bayerischen Gartenakademie an der Landesanstalt für Weinbau und Gartenbau in Veitshöchheim
Im Schaugarten der Bayerischen Gartenakademie an der Landesanstalt für Weinbau und Gartenbau in Veitshöchheim sprießt beispielsweise gerade das behaarte Schaumkraut. Das gilt eigentlich als lästiges Unkraut. Ehe es zu blühen beginnt, lassen sich seine Blättchen aber wie Kresse prima in der Küche verwenden, etwa als Zutat für Soßen, Salate oder Kräuterdips. Auch der Gartenampfer gedeiht im Frühjahr. Einmal gepflanzt oder ausgesät wächst der Gartenampfer immer wieder neu.
Frisch gebacken: Bamberger Kunigundenringe
Legt man die romanische Tradition an, dann, wie erwähnt, sind frisch und kalt ein und dasselbe. Und genauso wie kalt, ist frisch in dieser Bedeutung ein durchaus relativer Begriff. Die simple Feststellung, etwas sei kalt oder frisch zieht unweigerlich die Frage nach sich wie kalt oder frisch. Während 18 Grad vielleicht dem Gartenarbeiter als relativ warm erscheinen, kommen sie dem Genießer an einem Tisch im Freien möglicherweise ziemlich frisch vor. Nur in der Bedeutung neu, jung ist frisch nicht relativ. Nun gut, Käufer und Verkäufer im Laden können schon einmal durchaus unterschiedlicher Meinung darüber sein, wann genau ein Fisch noch als frisch zu bezeichnen ist. Und natürlich ist ein 40jähriger gegenüber einem 18jährigen steinalt, obwohl er verglichen mit einem 80jährigen ein junger Hupfer ist. Und so wie mit Menschen ist es auch mit Traditionen. Man meint immer bloß, sie seien uralt, weil mans nicht anders kennt. Meistens aber sind sie jünger als gedacht. Noch ziemlich jung und frisch zum Beispiel ist eine Tradition aus dem oberfränkischen Bamberg - gerade mal 50 Jahre ist es her, dass man die kulinarische Tradition der Kunigundenringe erfunden hat. Die gibt's nur zu einer bestimmten Zeit im Jahr - nämlich in den Wochen um den Namenstag der heiligen Kaiserin und Bamberger Bistumsgründerin Kunigunde herum. Der ist alljährlich am 3. März. Mags noch so frisch sein: Kunigund macht warm von unt, heißt's in der bekannten Bauernregel - und der Kunigundenring macht auch warm von innen. Zumindest wenn er frisch ist.
Frisch gerührt: Fränkischer Ziebeleskäs
Wir können uns heute kaum ausmalen, wie freudig in früheren Zeiten der Frühling begrüßt worden ist: Mehr Licht, endlich wieder Farben und endlich auch wieder frisches Grün, das nicht nur den Tieren gut schmeckt, sondern mittelbar oder auch unmittelbar uns Menschen. Zu den wichtigsten Inhaltsstoffen des Grüns gehören die sogenannten Carotine, sogenannte sekundäre Pflanzenstoffe, die in den Pflanzen eine Gelb oder Rotfärbung hervorrufen. In der gelben Rübe, der Karotte sind natürlich Carotine enthalten, natürlich auch in der Tomate oder Erdbeere beispielsweise, aber auch im grünen Gras. Das frisst jetzt die Kuh, wenn sie wieder auf die Weide kommt - was zur Folge hat, dass die Sommermilch gelber sein kann als die Wintermilch, wo es nur carotinarmes Heu gibt. Jetzt sagen Sie vielleicht: Ich kenn da keinen Unterschied, für mich ist Milch immer weiß. Das stimmt aber nur für frische Milch, wo die fettlöslichen Carotine noch in winzigen Fettkügelchen eingeschlossen sind. Werden die Fettkügelchen aber aufgebrochen, wenn das Fett abgeschöpft und gerührt wird, bei der Butter- oder Käseherstellung, dann werden die Carotine sichtbar. Deswegen sind Butter und Käse gelb; je älter, desto sichtbarer wird das Carotin; wie beim alten Emmentaler. Ein Weichkäse dagegen ist viel heller und ein Frischkäse, womit wir wieder beim Thema sind, ist weiß - eben weil er ganz jung ist und ganz wenig verarbeitet. Ein typischer Vertreter und gleichzeitig ein kulinarischer Botschafter Frankens: Der sogenannte Ziebeleskäs. Am besten aus frischer Milch. Übrigens: Wie sehr die Kühe sich freuen, wenn sie nach dem langen Winter zum ersten Mal wieder auf die frischgrüne Weide dürfen, ist ein besonderes Schauspiel.
Zum Schluss
Es ist nur ein scheinbarer Widerspruch, wenn sich einer auffrischt, indem er sich abfrischt. Wer sich von oben bis unten abkühlt, der kommt, wie Steffen Kopetzky aus seiner Tonne mehr oder weniger von unten bis oben erneuert. Daran sieht man auch, dass im ewigen Auf und Ab von Temperaturen und Jahreszeiten der Zeitpunkt von Frische immer etwas relativ Empfundenes bleibt. Eigentlich kann man in jedem Monat des Jahres, an jedem Tag, zu jeder Stunde frisch anfangen, weil zu jeder Zeit gilt, dass frisch gewagt halb gewonnen ist. Aber am schönsten ist der Neuanfang halt immer noch jetzt, wenn der Frühling beginnt, wenn man das neue Jahr gewissermaßen auf frischer Tat ertappt. Und selbst wer nicht mehr ganz frisch ist, weil er schon viele Lenze auf dem Buckel hat, der erlebt ihn immer wieder gern, diesen Moment alter Frische, der in die müden Knochen fährt, wie eine frische Brise.