Gemeinsam stark Genossenschaften und Kollektive
Genossenschaften sind in Europa seit dem Mittelalter bekannt. Kollektive lassen Assoziationen zur früheren DDR aufkommen. Doch beides scheint gerade eine Renaissance zu erleben. Warum? Und wofür stehen Genossenschaften und Kollektive heute?
Fragt man auf der Straße oder im Freundeskreis, was der Unterschied zwischen Genossenschaften und Kollektiven sei, fallen den meisten politische Richtungen ein. Während das Kollektiv, auch mit Hinweis auf Betriebsformen in der ehemaligen DDR, eher linksideologisch verortet wird, vermutet man bei der Genossenschaft eher einen werteorientierten, bürgerlichen Kontext. Beides ist ebenso richtig wie falsch, denn zunächst einmal unterscheiden sich Kollektive und Genossenschaften schlicht und einfach in ihrer Rechtsform.
"Ein Kollektiv ist ein rechtlich undefinierter Begriff. Das ist erst mal ein lockerer Zusammenschluss von Menschen, die ein gemeinsames Ziel verfolgen. Aber auf welche Weise und auf welcher Grundlage die sich zusammenschließen, ist erst mal überhaupt nicht erklärt. Eine Genossenschaft ist von der Systematik her eine Kapitalgesellschaft, also im Grunde wie eine GmbH oder eine AG auch, und das bedeutet, dass eine Genossenschaft mit ihrem Eigenkapital haftet. Das heißt, es ist keine natürliche Person, sondern eine juristische Person. Und diese juristische Person ist es, die im Prinzip alle Verträge abschließt."
Ulrich Lindner, Dozent und Berater an der Hochschule für angewandtes Management in Ismaning
Das Kollektiv. Oder: Wie sehr färbt die Verpackung auf den Inhalt ab?
"Für mich bedeutet, Teil eines Kollektivs zu sein, dass wir uns alle mit dem Projekt identifizieren und hierarchische Strukturen versuchen abzubauen. Wir haben alle die gleichen Rechte und die gleichen Pflichten. Und das ist schon so ein bisschen ein Hintergedanke mit: eine andere Art von arbeiten."
Felix Homann, Kneipenkollektiv 'Arsch & Friedrich'
Felix Homann steht nicht nur inhaltlich hinter dem Kollektivgedanken, also einer basisdemokratischen Form der Zusammenarbeit, er hat auch von Anfang an beim Kneipenkollektiv "Arsch & Friedrich" in der Nürnberger Südstadt mit angepackt. Haben Kollektive eine politische Ausrichtung? Oder andersherum: nennt man sich ganz bewusst Kollektiv, weil man schon damit Farbe bekennen will?
"Grundsätzlich können auch rechte Gruppierungen sich so nennen und grundsätzlich sagen: ja, wir arbeiten kollektivistisch. Aber die Grundgedanken kommen schon eher aus dem linken Spektrum, wir wollen eine andere Art von Zusammenleben. Nachdem ein Kollektiv meiner Meinung nach offen für jede Person sein sollte, unabhängig von Herkunft, Religion, Job etc., würde ich es auf jeden Fall eher in die linke Richtung verorten."
Felix Homann, Kneipenkollektiv 'Arsch & Friedrich'
Auf ins Arsch & Friedrich in der Unteren Baustraße. Momentan ist die Kneipe Corona bedingt geschlossen, denn sie ist eine reine Schankwirtschaft. Auf die Genehmigung, außen bestuhlen zu dürfen, wartet man noch. Nun versucht sich das Kollektiv unter anderem mit externen Veranstaltungen über Wasser zu halten. Bis September geht das noch, sagt Felix Homann. Dank der geplanten Außenveranstaltungen. Deshalb sortiert er nun T-Shirts mit dem Kneipenlogo drauf, die das Kollektiv verkaufen will, um wenigstens die Miete für einen weiteren Monat reinzubekommen. 2012 eröffnete das Duo Matze und Matze die Kneipe. Damals noch nicht als Kollektiv.
"Nach drei, vier Jahren hat dann einer der Matzes, der noch dabei war, gesagt: Okay, mir wird das jetzt zu viel Verantwortung, wir wollen ein Kollektiv daraus machen und wollen diesen Kollektivgedanken aufgreifen. Und dann haben wir mit, glaub ich, sieben Leuten beschlossen, wir greifen das jetzt an und übertragen die Verantwortung und auch die Pflichten aufs ganze Kollektiv."
Felix Homann, Kneipenkollektiv 'Arsch & Friedrich'
Die erste Kollektivmesse
Felix ist überzeugt, dass sich der Kollektivgedanke nicht nur im unmittelbaren Umfeld der Kneipe verstärkt, sondern allgemein wieder zunimmt.
"Wir merken das vor allem in den letzten zwei Jahren, dass da auch mehr Anfragen kommen. Deswegen glaub ich schon, dass das wieder Thema ist, oder mehr Thema wird. Das hat sich bei uns auch letztes Jahr an der Kollektivmesse gezeigt, die wir ja veranstaltet haben, dass es superviele Kollektive gibt in Deutschland, von denen man gar nichts weiß oder die man gar nicht kannte."
Felix Homann, Kneipenkollektiv 'Arsch & Friedrich'
Die erste Kollektivmesse fand im März 2019 statt. Für einen Tag kamen rund 30 verschiedene Kollektive aus ganz Deutschland im Nürnberger Z-Bau zusammen, um sich vorzustellen, Erfahrungen auszutauschen und anschließend gemeinsam zu feiern. Für diesen Herbst war die zweite Messe geplant. Doch die musste Corona bedingt abgesagt werden.
Die Mühle am Bach. Oder: Erst viele Körner ergeben ein Brot.
Rund 130 Kilometer nordöstlich von Nürnberg im oberfränkischen Landkreis Kronach liegt Weißenbrunn. Zum Ortsteil Schlottermühle, benannt nach der dortigen Müllerei, führt eine schmale Straße, die parallel zum Mühlbach verläuft.
Die Schlottermühle liegt malerisch in einem Tal am Fuße des Frankenwaldes. Man stellt sich unwillkürlich vor, wie die Bauern der Umgebung mit Wagen voller Getreide frühmorgens hierherkommen, um von Müllermeister Ebert das Korn zu Mehl vermahlen zu lassen, aber:
"Das ist die Lohnmüllerei, das hat´s früher gegeben. Gibt es heute teilweise auch noch. Also da haben die Bauern ihr Getreide abgeliefert, es ist gemahlen worden und in der Zwischenzeit waren die im Wirtshaus gesessen und haben dann abends ihr Mehl und ihre Kleie wieder mitgenommen."
Siegfried Ebert, Müllermeister
Das Wirtshaus, das früher zur Mühle gehörte, ist Vergangenheit und der Bach treibt die Mühle schon lange nicht mehr an. Sondern Strom. Und wer im Inneren der Mühle ein munteres Klipp-Klapp erwartet hat, wird endgültig aus dem Kinderlied in die reale Gegenwart geschleudert. Es ist laut und heiß. Die Schlottermühle war erstens eine der ersten Biomühlen in Bayern. Und sie arbeitet zweitens fast ausschließlich für die Genossenschaft Ökofranken, die rund 50 Kilometer westlich in Itzgrund, Landkreis Coburg ansässig ist.
"Also die Landwirte, die hier in der Umgebung sind, liefern uns ihr Getreide, wir bereiten es auf, es wird gelagert und wird dann nach Vorgabe speziell für den Kunden für Öko-Franken gemahlen."
Siegfried Ebert, Müllermeister
Das klingt nach heiler Welt und sonniger Öko-Romantik. Die Realität hat aber durchaus auch Schattenseiten, sagt Ebert. Ohne die Genossenschaft im Rücken sähe es gleich noch düsterer aus.
"Wir waren ja bis vor drei, vier Jahren eine von drei echten Bio-Mühlen in Bayern, waren alles kleinere Betriebe wie ich selbst. Mittlerweile stürzt sich fast jede Mühle in das Bio-Geschäft rein, weil sie meinen, man kann da noch was mit verdienen, wird auch ein bisschen vom Staat noch gefördert, weil ja der Bio-Anteil nach oben gehen soll. So möchte jeder von diesem Kuchen was haben. Und ich hab das Gefühl zur Zeit, ich steh zwischen zwei großen Walzen und werde zerrieben."
Siegfried Ebert, Müllermeister
Die Genossenschaften. Oder: Bunt ist auch eine Farbe.
Mitte des 19. Jahrhunderts gründete Hermann Schulze-Delitzsch einen genossenschaftlich organisierten Spar-und Konsumverein. Etwa zur gleichen Zeit schuf der Sozialreformer Friedrich Wilhelm Raiffeisen ein genossenschaftliches Modell für die Unterstützung mittelloser Landwirte. Beide zusammen gelten in Deutschland als die Väter der bald darauf einsetzenden Genossenschaftsbewegung.
Ende 2019 versammelte allein der Bayerische Genossenschaftsverband GVB 1.212 genossenschaftlich organisierte Betriebe unter seinem Dach. Alle ähneln sich in ihrer Grundstruktur, ihre Ausrichtungen sind dafür umso vielfältiger. Es gibt: Kreditgenossenschaften, Vermarktungsgenossenschaften, Erzeugergenossenschaften, Produktionsgenossenschaften, Beschaffungsgenossenschaften, Nutzungsgenossenschaften, sowie die unterschiedlichsten Mischformen daraus. Ökofranken wurde 1991 als Waren- und Dienstleistungsgenossenschaft gegründet. Andreas Kleist war von Anfang an dabei und ist heute offiziell ihr Vermarktungsleiter, tatsächlich so etwas wie das Herz der Genossenschaft.
"Ich bin der, der die täglichen Geschäfte abwickelt, Verhandlungen führt und auch die Buchhaltung überwacht und versucht, die ganze Genossenschaft in ihrer Entwicklung vorwärts zu bringen. Ich bin der, der die Arbeit macht. Für mich war klar, dass die Gesellschaft sich so nicht weiter fortentwickeln kann, ohne dass sie ökologischer wird, ohne dass sie der Natur mehr angepasst arbeitet. Und deswegen haben wir gesagt, wir wollen den ökologischen Landbau weiterentwickeln, wir wollen ihn weiterverbreiten, damit eine Gesellschaft entsteht, die mit sich besser im Einklang lebt und nachhaltiger sich entwickeln kann."
Andreas Kleist, Vermarktungsleiter der Genossenschaft Ökofranken
Vor dreißig Jahren führte Bio noch ein Nischendasein. Ausgerechnet auf diesem Segment eine Landwirtschaftsgenossenschaft zu gründen, war nicht einfach. Mittlerweile profitieren 320 biologisch wirtschaftende Agrarbetriebe von ihrer Mitgliedschaft bei Ökofranken, das seiner Zeit übrigens ganz bewusst nicht als GmbH oder AG sondern als Genossenschaft angelegt wurde.
Genossenschaften, sagt Kleist, seien eigentlich weder links noch rechts, stattdessen solidargemeinschaftlichen, regionalen und bodenständigen Prinzipien verbunden, was schon in der Rechtsform so angelegt sei. Dies gelte sogar für den Bankensektor.
"Und aus diesem Grunde haben die Genossenschaften an diesem riesigen, weltweiten Monopoly nicht teilgenommen, sondern sie haben das klassische Bankgeschäft betrieben, für das sie eigentlich viele Jahre belächelt worden sind, weil die anderen alle ganz groß hinauswollten. Im Endeffekt hat sich erwiesen, dass dieses klassische Bankgeschäft vor Ort eigentlich das tragfähigste ist, weil es das sinnvollste ist, weil es das ist, was der allgemeinen Wirtschaft vor Ort nutzt. Und deswegen sind sie da am besten rausgekommen aus der ganzen Sache. Und plötzlich waren die Raiffeisenbanken eigentlich die, auf deren Geschäftsmodell man geschaut hat und die anderen hat man gesagt, das war ein Irrtum."
Andreas Kleist, Vermarktungsleiter der Genossenschaft Ökofranken
Auch ein Dorfladen ist ein Markt
Einen Dorfladen gab es in Wettringen im Landkreis lange Zeit nicht mehr. Damit steht die tausend Seelen Gemeinde nicht allein da. Überall – nicht nur in Bayern – verschwanden die dörflichen Einkaufsmöglichkeiten Zug um Zug. Für die großen Ketten wie Edeka oder Rewe, die, als Konsumgenossenschaften, ursprünglich auch einmal dem Genossenschaftsgedanken anhingen, scheinen die kleinen, ländlichen Filialen nicht mehr profitabel genug zu sein. Die Alternative sind klotzige Einkaufszentren mit gigantischen Parkplätzen irgendwo in der Pampa. Wer auf dem Dorf lebt und einkaufen möchte, muss fahren. Wer das nicht kann, hat Pech. In Wettringen wollte man sich damit nicht abfinden, erzählt Bürgermeister Matthias Rössler.
"Wir hatten eine kleine Initiative von ein paar Bürgern, die sich gewünscht haben, dass wir wieder eine Vorortversorgung hier im Ort haben und aus dem Ganzen ist die Idee entstanden, einen Dorfladen zu initiieren."
Matthias Rössler, Bürgermeister von Wettringen
Ehrenamtlich ließ sich die Gründung eines Dorfladens nicht stemmen. Aufgegeben haben die Wettringer trotzdem nicht. Sie fanden ein Gebäude, das mit Fördergeldern umgebaut wurde. Der Dorfladen mit Café, Kinderspielplatz, Behinderten-WC und Ladesäule für Elektrofahrzeuge wurde 2016 eröffnet.
"Der Laden, die Immobilie und auch die Einrichtung, das Inventar gehört komplett der Gemeinde, und für den Betrieb des Ladens ist eine unabhängige Genossenschaft zuständig. Das ist eine landwirtschaftliche Genossenschaft aus Creglingen, die BAG, die dann den Laden betreibt mit allem, was dazugehört."
Matthias Rössler, Bürgermeister von Wettringen
Die Einheimischen, sagt Isolde Leyh, die seit der Eröffnung dabei ist und kürzlich die Leitung übernommen hat, nennen ihren Dorfladen stolz den "Stadtpark von Wettringen".
"Es ist für jeden sehr viel wert. Für die alte Generation, für die Jungen. Es ist einfach ein Treffpunkt in der Ortsmitte. Man kommt gerne hierher, trinkt einen Kaffee, trifft sich, spricht miteinander, was es vorher halt hier nicht gegeben hat."
Isolde Leyh, Leiterin des Dorfladens von Wettringen
Und die Wertschätzung der Wettringer trägt den Dorfladen – auch durch schwierige Zeiten. Übrigens: Im Gegensatz zu vielen anderen ländlichen Gemeinde hat man hier nicht gegen die Gespenster Abwanderung und Leerstand zu kämpfen. Wer weiß: Vielleicht ist der aus Gemeinschaftssinn erwachsene Dorfladen, der "Stadtpark Wettringen", auch ein Grund, weshalb das so ist.