Die Drahtzieher und das Christkind Das Gilardi-Haus in Allersberg
Das Gilardi-Haus im mittelfränkischen Allersberg. Noch bis 2006 wurde hier Christbaumschmuck produziert. Heute ist es ein Museum zur fränkischen Drahtzieherei und zu 300 Jahren bewegter und bewegender Geschichte.
Was ziert nicht schon alles die Stube? Was kommt an den Baum? Schmuck, Christbaumschmuck: Sterne, Kugeln, Figürchen, Lamettta usw. Angefertigt per Hand, in Manufakturen irgendwo zwischen dem Riesengebirge und dem Schwarzwald. Das war einmal. Heute gibt’s Billigware aus Fernost.
Die neue Seidenstraße ist in Europa angekommen und einst kostbarer Glitzer und Glanz sind zu computerproduzierten Massen- und Wegwerfartikeln geworden.
Frau Lore Heitner 1955 beim Stanzen von Rosetten aus Aluminiumfolie. Sie arbeitet an einer Stanze mit Fußbetrieb.
Dass viel traditioneller Weihnachts- und Christbaumschmuck ursprünglich Made in Bavaria bzw. Made in Franconia ist fast vergessen. Wären da nicht doch noch ein paar wenige Menschen, die sich daran erinnern, dass Lametta eine fränkische Erfindung ist:
"Das ist immer wieder eine spannende Frage: kommt es aus Allersberg oder kommt es hier aus der Nachbarstadt Roth? Also auf jeden Fall war schon sehr früh hier, ein Zentrum von Lametta. Und die Allersberger Firma Gilardi war auf jeden Fall die erste, die es auf einer Nürnberger Messe angeboten und verkauft hat."
Annette Haberlah-Pohl, Marktarchivarin und Heimatpflegerin
1708 hat der aus Mailand stammende Kaufmann Jacob Gilardi die Witwe des verstorbenen Drahtzug Barons Johann Georg Heckel, die aus Freystadt stammende Sybilla Maurer geehelicht und gleichzeitig seine Fabrik übernommen. Später ließ er durch den Architekten und Eichstätter Hofbaudirektor Gabriel de Gabrieli das herrschaftliche Gilardi Palais bauen, das heute das Zentrum der Marktgemeinde Allersberg dominiert.
Die Firma Gilardi bestand als sogenannte Drahtzug-Manufaktur bis ins Jahr 2006. Im 19. Jahrhundert errang sie Weltruhm, als sie alle fünf Kontinente mit dem oft unwiderstehlichen Glanz und Glitzer ihrer sogenannten leonischen Waren belieferte.
"Die Firma Gilardi hat die Gilardi Fabrik um 1900 verkauft und die letzten Firmeninhaber war die Familie Geiershoefer. Und die Geiershoefer haben dann über die Familiennachfolge – also die letzte Geiershoefer war eine Tochter – auch nochmal den Namen gewechselt in Familie Schulenburg. Und die Schulenburgs waren die letzten Firmeninhaber und die sind nach England ausgewandert."
Annette Haberlah-Pohl, Marktarchivarin und Heimatpflegerin
"Arisierung" nannte man die Zwangsenteignung jüdischer Unternehmer in der Nazizeit. Nach 1945 kamen die alten Eigentümer auf Bitten der amerikanischen Militärregierung wieder zurück nach Allersberg. Die letzte Gilardi-Besitzerin Susanne Schulenburg war die Patentante unseres Autors Wolf Gaudlitz. Als Bub hat er bei der Fertigung von Christbaumschmuck zugeschaut.
"Der leonische Draht ließ sich - da war ich mir ganz sicher - bei Tante Susi und ihrer Gilardi Fabrik mindestens drei Mal um die Welt und fünf Mal bis hinauf zum Christkind und wieder hinab ziehen. Glitzernde Metallgirlanden, die ich, ich weiß nicht wie viele hundert Mal, mit halbgeschlossener Hand umfasst hab, um dann mit dem Rhythmus der Maschinen Schritt um Schritt meterweise an ihnen entlang zu gleiten und das zarte Kitzeln zwischen den Fingern zu genießen. Im Innenhof reihten sich die Lastautos, in die die großen aber doch relativ leichten Kartons geladen wurden, um ihren Weg hinaus in die Welt zu finden. Das Christkind hatte munter Bestellungen aufgegeben - und zwar schon im Sommer."
Wolf Gaudlitz, Autor