Klicks mit Konsequenzen Wie Online-Bewertungen nützen oder schaden
Im Internet darf ja jeder alles sagen, und mit Sternchen versehen wird eine Meinungsäußerung zur Bewertung geadelt. Egal ob echt oder gefälscht: sie dienen vielen als Orientierung – zum Leidwesen vieler Bewerteter.
Wer zum ersten Mal in den Friseursalon von Tim Hoffmann kommt, wird von dem Friseurmeister gefragt, warum er seinen Salon in der Nürnberger Altstadt mit Blick auf die Burg ausgewählt hat. "Und da ist es wirklich ganz oft so: hat uns online gefunden, unsere Bewertungen waren super und deshalb kommt sie auch", erzählt Hoffmann. "Für einen Frisör ist das sehr, sehr wichtig. Ich würde sagen, die Bewertungen im Internet sind dein Schaufenster."
Wie die allermeisten Unternehmer hat Tim Hoffmann ein kostenloses Google-Profil, auf dem er mit 4,5 von 5 Sternen abschneidet. Außerdem ist er in sozialen Netzwerken auffindbar, wo er ebenfalls überwiegend sehr gute Bewertungen erhält. Tim ist zufrieden. Und möchte seinen guten Ruf offline wie online gerne halten.
Gute Arbeit, positive Bewertung?
Doch schon allein wie er bei Google bewertet wird, hängt von vielen Faktoren ab. Und weil gerade die Google-Platzierung schwanken kann, sind neben einer klug aufgebauten Website positive Bewertungen das A und O, findet Tim Hoffmann. Nach seiner Erfahrung nach wird jeder, der seine Arbeit gewissenhaft erledigt, mit entsprechend wohlwollenden Kommentaren im Internet belohnt. Doch nicht immer geht diese Rechnung auf.
"Ich habe selber schon zwei Bewertungen bekommen auf Google von Kunden, die nie bei mir waren und auch nicht bei meinen Kolleginnen. Und das finde ich halt wirklich sehr schade. Also kann ich mir nur vorstellen, dass es die Konkurrenz gewesen ist. Aus Neid oder was auch immer für Beweggründen."
Tim Hoffmann, Friseurmeister
Das waren freilich "Ein-Stern"-Bewertungen – dramatische Auswirkungen auf Tim Hoffmanns Google-Ranking hatten die zwar nicht. Trotzdem ärgert er sich. Besonders die Anonymität, hinter der sich vermeintliche Kunden, die ihn und seine Arbeit in Wahrheit nie kennen gelernt haben, online verstecken und sich geschäftsschädigend äußern können, wenn sie es darauf anlegen. Die Plattform Treatwell findet Tim Hoffmann deshalb gerechter.
"Das ist auch öffentlich. Und da kann aber wirklich nur derjenige bewerten, der den Termin auch gehabt hat. Der müsste dann also wenigstens zu mir gekommen sein und dann kann er auch sagen: 'Ok, war scheiße'. Also das ist wirklich fair."
Tim Hoffmann, Friseurmeister
Fair ≠ kostenlos
Doch Fairness kostet Geld. Etwa 20 Euro gibt Tim Hoffmann im Monat für die Mitgliedschaft bei Treatwell aus. Damit kauft er aber nicht etwa gute Bewertungen oder eine besonders exponierte Platzierung auf der Seite, sondern zahlt für die Nutzung, die ihm zum Beispiel erlaubt, Termine online über die Kalenderfunktion der Plattform zu vergeben.
Und nach einem Friseurbesuch bei ihm fordert Treatwell die Kunden automatisch per Mail zu einer Bewertung ihres Termins auf. Nur so kann das System sicherstellen, dass ausschließlich die Personen schreiben, die auch wirklich vorher da waren.
Den Arzt Harald Thiedemann aus Fürth interessieren Online-Bewertungen dagegen so gut wie gar nicht mehr. "Ich hab jetzt auch nicht den Eindruck, dass wahnsinnig viele Patienten über diese Portale kommen", sagt er. Wenn er Patienten fragt, wie sie auf ihn aufmerksam geworden sind, dann in aller Regel über eine persönliche Empfehlung. "Ich würde sagen, es ist einer von 20 oder 30, der sagt: 'Ich bin über Internetsuche zu Ihnen gekommen.'"
Wie alle Ärzte, die im Netz auffindbar sind, wird auch Harald Thiedemann mit seiner Praxis auf dem Jameda gelistet, Deutschlands größtem Arzt-Patienten-Portal. Jeden Monat holen sich hier knapp sieben Millionen Menschen Rat anhand von Patientenbewertungen über diesen oder jenen Arzt.
Besseres Image dank Jameda?
Als zahlendes Premium-Mitglied kann man sich als Arzt auf Jameda eine Art Website anlegen. Sehr ansprechend gestaltet, mit Foto, Video und einer eigens verfassten Übersicht der ärztlichen Leistungen, die man anbietet. Florian Weiß ist Geschäftsführer von Jameda und betont, dass es sich dabei weder um verdeckte Vorteilsverschaffung gegenüber nichtzahlenden Ärzten handelt, noch die Bewertungen beeinflusst.
"Wir haben noch nicht einen Fall gehabt, wo ein Patient den Namen ‚Gold'- oder ‚Platinmitglied' in Verbindung gesetzt hätte mit der Qualität des Arztes, sondern immer nur mit der Darstellung", so Weiß. "Alle unsere Nutzerbefragungen zeigen, dass da keine Irritationen beim Patienten auftauchen."
Der Arzt Harald Thiedemann ist kein Jameda-Premiummitglied und schneidet auf der Plattform mit einer Note von 1,8 ab. Die unterschiedlich umfangreiche Darstellung von Ärzten auf der Plattform lässt ihn inzwischen kalt. Nicht aber die anonymisierte Darstellung von Patientenbewertungen.
"Irgendein anonymer Scheiß"
Weil der Verfasser das Recht auf seine Anonymität hat, dann fordert Thiedemann auch für sich das Recht, den Bewertenden direkt ansprechen zu können. Wer sich persönlich beschwert, gibt dem Arzt die Möglichkeit, zu reflektieren und an sich zu arbeiten, so Theidemann. "Aber was sollen Sie denn an sich oder an ihrer Praxisstruktur ändern, wenn Sie da nicht konkret darauf angesprochen werden? Lieber hockt man sich hin und verfasst irgendeinen anonymen Scheiß im Internet."
Die Anonymität ist es, die Jameda für unerlässlich hält, damit sich Patienten überhaupt angstfrei und geschützt austauschen können. Trotzdem, wendet Thiedemann ein, wird es immer wieder Patienten geben, die ihre Anonymität im Netz ausnutzen. Auf Kosten des Arztes.
Die Ansprüche sind zum Teil immens, sagt der Arzt. "Wenn Sie denen das Rezept oder die Krankengymnastik oder das Medikament, das sie jetzt unbedingt haben wollen, nicht geben oder das Antibiotikum nicht verschreiben, dann fahren die heim und würgen Ihnen einen rein."
"Dankbarkeit und Hilfsbereitschaft"
Mit diesem Eindruck ist Thiedemann nicht allein. In der Vergangenheit gab es immer wieder Ärzte, die – teils erfolgreich – gegen vermeintlich falsche oder ungerechte Online-Bewertungen auf der Plattform klagten. Jameda-Geschäftsführer Florian Weiß dagegen fände es unfair, wenn die Öffentlichkeit seine Plattform allein danach beurteilen würde.
"Wir geben im Jahr allein zwei bis zweieinhalb Millionen Euro für die Sicherstellung der Authentizität von Bewertungen aus", beteuert der Jameda-Geschäftsführer, "Ich glaube, kein anderes Unternehmen weltweit macht das." Außerdem seien 80 Prozent der abgegebenen Bewertungen positiv. Eine von Jameda beauftragte Studie hat die Motivation von Patienten ermittelt, so Weiß. "Die Top-2-Motive sind dort Dankbarkeit und Hilfsbereitschaft."
"Wenn Sie mich fragen: Sind Bewertungen das beste Mittel, um Patienten zu helfen, den passen Arzt finden zu lassen, dann würde ich sagen: Auf lange Sicht nicht. Ist es das einzige Mittel, das wir aktuell haben? Dann würde ich sagen: Leider ja."