Bayern 2 - Nachtmix


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Nina Simone "To be young, gifted and black"

Eunice Waymond wollte als Kind in die Geschichtsbücher eingehen als eine der ersten schwarzen Klassik-Pianistinnen der USA. Doch mit Anfang 20 platzte der Traum - aus der Klassik wurde nichts. Aber aus Eunice Waymond wurde Nina Simone.

Von: Matthias Röckl

Stand: 25.07.2013 | Archiv

Nina Simone am Flügel | Bild: picture-alliance/dpa

Statt im Konzertsaal, wie Eunice Waywond es sich als Kind erträumte, saß sie mit Anfang 20 hinter den Tasten in verrauchten Hotelbars. Und aus Eunice Waymond wurde Nina Simone, mit einer Stimme so mächtig wie die geballte Faust der Black Panther. Simones Musik packt die Geschichte der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung in eine Zeitkapsel. Es sind Songs die auch heute noch Gänsehaut erzeugen, sie gehen einem nahe wie die Bilder eines Dokumentarfilms. Die Karriere der Blues-, Jazz-, Folk- und Protest-Sängerin beginnt am 12. September 1959.

Führte die damalige Jazz-Szene an: John Coltrane.

Simone spielt Live in der Town Hall in New York City. Zum ersten Mal füllt sie einen großen Theatersaal, das Publikum ist begeistert und die Kritiker schreiben sich die Finger wund - bei der schwierigen Aufgabe, Nina Simones Live-Repertoire musikalisch einzuordnen. Ein Blick ins Publikum gibt Aufschlüsse: Applaus gibt es von der jungen, hippen Jazz Szene – angeführt von John Coltrane. Auch Folk-Fans und Anhänger der Beatpoeten sind zur Show gekommen. Die weißen Folk Kids entdecken den Blues für sich, während die Jazzer interessiert Simones klassische Spieltechnik studieren.

Nina Simones Collage aus Folk, Klassik, Soul und Jazz hatte die New Yorker Avantgarde-Szene so noch nie erlebt. Der gefeierte Auftritt in der Town Hall wird als Live-Album veröffentlicht, es ist der Start zu Nina Simones Karriere.

Trotzdem war das nur Plan B - Nina Simone war bis zu ihrem 21. Lebensjahr fest davon überzeugt, als klassische Musikerin berühmt zu werden. Das Talent dazu hatte sie – doch nicht die richtige Hautfarbe, wie Simone behauptete. Anders konnte sich die Pianistin nicht erklären, wieso sie vom Curtis-Musikinstitut in Philadelphia abgelehnt wurde, trotz jahrelanger Vorbereitung, darunter Privatstunden an der New Yorker Juilliard School. Mit ihrer Fingertechnik, die sie sich beim stundenlangen Einüben von Bach & Beethoven aneignete, engagierte sie sich nun für Blues- und Jazzmusik. Auf ihrem Debutalbum "Little Girl Blue"’ interpretiert sie "Love me or leave me", ein Stück aus den 20er Jahren von Walter Donaldson. Nina Simone holt darin zu einem großen Solo aus, im Stile eines Johann Sebastian Bachs.

In den 60ern war Nina Simone die "Queen of the Village"

Hier hingen die Jazzer ab: Greenwich Village, New York.

In New York ist Nina Simone Anfang der 60er Jahre die "Queen of the Village". Im Greenwich Village in Manhattan spielt sich alles relevante auf engstem Raum ab, es ist die kulturelle Keimzelle für die kommenden Jahrzehnte. Die Jazzer hängen im Village Gate ab, umgeben von Comedians wie Bill Cosby und Woody Allen. Gegenüber im "Bitter End" sind die Folk-Leute zu Gange. In den Pausen überbrückt ein junger Kerl, namens Bob Dylan, das Liveprogram mit Folk-Parodien.

Jazz war für Simone eine Haltung, eine Art des politischen Denkens. Die Art, wie schwarze Künstler und Intellektuelle sich ausdrückten, und sei es nur, wie sie stylisch den Bürgersteig entlangschlenderten. In ihrer Autobiographie schreibt sie:

"Müsste ich mir eine Bezeichnung geben, wäre es Folk Sänger, weil in meiner Musik mehr Folk und Blues als Jazz steckt."

Nina Simone in ihrer Biographie

Die verführerische Macht der Musik erlebt Nina Simone im frühesten Kindesalter. "Mit drei Jahren stellten wir fest dass sie ein Genie war", erzählt ihr Bruder Carrol im Buch "Princess Noire", einer akribisch recherchierten Biographie über Nina Simone. Kaum konnte seine kleine Schwester mit ihren kurzen Beinen die Pedale der Kirchenorgel erreichen, spielte sie bereits das Eröffnungsstück in der Kirchmesse. Damals war Nina Simone alias Eunice Waymond gerade vier Jahre alt. Mit zehn übernimmt sie die musikalische Kirchenleitung und spielt dabei auch zu den dramatischen Beichtzeremonien. Nina Simone hat Spaß dabei, die Sünder an der Orgel zu begleiten, die theatralisch von der Kirchenbank aufspringen, durch die Sitzreihen rennen und kreischend Gott um Vergebung bitten. 

Es sind Nina Simones erste Lehrjahre, die ihr eine ihrer wichtigsten Tugenden beibringen - wie man sein Publikum an der Hand führt, es aufputscht oder beruhigt, und letztendlich einen ganzen Saal in Trance spielt.

Young, Gifted - und trotzdem diskriminiert

Frühstück im Bett: Nina Simone.

Nach dem Gospel, kam die Klassik – zum ersten mal sollte die kleine Eunice Musikunterricht bekommen. Nur: Geld dafür gab es keines. Um über die Runden zu kommen, mussten Eunice und ihre sieben Geschwister zu Hause mit anpacken. Als sie mal wieder ihrer Mutter bei ihrem Putz-Job bei einer weißen und reichen Familie begleitete, traf sie Miss Miller. Diese war schwerstbeindruckt vom Talent der kleinen Eunice und übernahm von dort an die Kosten für den klassischen Piano-Unterricht. Dass schwarze und weiße Bürger sich gegenseitig aushalfen, war im segregierten Amerika der 50er eine Besonderheit. Rassismus war tief im Systems verankert –Restaurants, Banken, Kleidergeschäfte – all das war nur für Weiße zugänglich. In ihrer Biographie schreibt Nina Simone, dass sie, die kleine Eunice, in ihrer Kindheit dazu erzogen wurde, den Rassismus zu ignorieren. Sie kannte ohnehin nur zwei Weiße persönlich – und beide behandelten sie äußerst gut – ihre Förderin Ms. Miller und ihre Klavierlehrerin Miz Mazzy.

Eines Abends brach das heile Weltbild der Elfjährigen zusammen, es war der Abend ihres ersten Klavierkonzertes: Während der Bühnenankündigung, mussten ihre Eltern ihre Plätze in der ersten Reihe an eine weiße Familie abgeben. Eunice weigerte sich zu spielen und forderte den weißen Ansager dazu auf, ihre Eltern wieder in die vorderste Reihe zu setzen. Erst als das passiert war, fing sie mit ihrer Show an. An diesem Abend lernte Eunice, was es bedeutet‚ jung, talentiert und schwarz zu sein, in ihrem Heimatort Tyron, "Down South" in North Carolina.

War mit Nina Simone gut befreundet: der Schriftsteller Langston Hughes.

"To be Young, Gifted and Black" war ein Song, den Nina Simone ihrer Freundin Lorraine Hansberry widmete. Auch Hansberry war "Young, Gifted and Black". Sie war die erste schwarze Autorin eines Broadway Musicals, das war 1959. In New York war Nina Simone umgeben von Leuten wie Lorraine. Schwarze Intellektuelle, Meinungsmacher, kluge Köpfe der Civil Rights Bewegung. Nina Simone lauschte den politischen Diskussionen, den Gedanken und Gedichten von ihren Schriftstellerfreunden wie Langston Hughes und James Baldwin - doch selbst hielt sich aus der Politik raus. Das änderte sich durch ihre Freundschaft zu Lorraine Hansberry. Sie überzeugte Simone davon, dass sie alleine wegen ihrer Hautfarbe Teil des Klassenkampfes war.

Als 1963 zuerst Edgar Evers, Civil Rights Aktivist und Bekannter von Nina Simone, ermordet wurde und kurz darauf vier junge Mädchen bei einem Bombenanschlag auf eine schwarze Kirche in Alabama starben, packte Nina Simone ihre Gefühle der Verzweiflung, Machtlosigkeit und ihren Zorn in ein neues Stück. Es war der Aufbruch zu einer Serie beeindruckender Civil-Rights- Songs.

Popularität und politische Message

Nina Simones Stücke besitzen die Intensivität einer emphatischen politischen Rede, sie dokumentieren die bitteren Verluste, das Attentat auf Martin Luther King und die Opfer der rassistischen Unruhen in Alabama. Auch andere schwarze Musiker nutzten ihre Popularität, um eine politische Message zu transportieren: Sam Cooke, Sonny Rollins, Duke Ellington oder Samy Davis Jr.

Der Schriftsteller Langston Hughes wünschte sich von Nina Simone, dass sie auch nach seinem Tod die politische Message in ihren Songs weiterführe:

"Eines Tages, wenn du berühmt bist, stehen dir alle Türen offen - dann musst du ihnen mitteilen, was Sache ist, denn sie können sich nicht davor verstecken."

Langston Hughes

Nina Simone nahm ihren Freund beim Wort und schrieb Backlash Blues.

Sie war stolz darauf, dass die politischen Gruppierungen der Civil-Rights-Bewegung ihre Musik bei ihren Versammlungen spielten. Ihre Musik verlieh ihrem Volk Stärke, Simone versuchte ihre Brothers and Sisters wachzurütteln und zu motivieren. Auf der Bühne war die Sängerin abgeklärt, privat ging es dabei oft drunter und drüber. Verheiratet war Simone mit einem ehemaligen Polizisten – Andy Stroud. In ihrer Autobiographie beschreibt sie ihn als toughen Typen, strengen Manager und Macho. Auch wenn sie in ihrer Kunst als weibliches Rolemodel rüber kam - Frauenemanzipation interessierte sie nicht, wie sie in ihrer Autobiographie zugibt.

Als Andy Stroud sie in der alkoholisierten Nacht ihrer Verlobungsfeier über Stunden hinweg schlägt und misshandelt, gibt sie ihm eine weitere Chance, verbucht das ganze als Blackout und heiratet Andy 1961. Es folgen eine feurige Liebe, eine gemeinsame Tochter und eine stressige Arbeitsbeziehung, da Andy Stroud zugleich als ihr Manager fungiert. Jenseits der Bühne fühlte Simone sich unsicher und einsam und war geplagt von Selbstzweifeln. Als ihre Ehe zu Brüche ging, schrieb sie "Four Women" ein Stück über und für ihre "Black Sisters". Es geht darin um die weibliche Identitätssuche, den Rollenkonflikt in der Liebesbeziehung, aber auch die Behandlung seitens der afro-amerikanischen Männer – die ihre Frauen je nach Helligkeitsstufe ihrer Haut diskriminierten.

Nina Simone in späteren Jahren.

Wie möchte man sich an Nina Simone erinnern, in diesem Playback? Es gibt viele tragische Geschichten, die sie ihr Leben lang begleiteten. Nach dem Scheitern ihrer Ehe versäumte sie es, mit den vielen Problemen ihres Lebens aufzuräumen: Sie flüchtete auf die Insel Barbados, dann nach Afrika. Alle Bankkonten liefen weiterhin über ihren Ex-Mann, die amerikanischen Steuerbehörde aber war hinter ihr her.

Simone fühlte sich verraten – von Amerika, dem Musikbusiness, und überhaupt von allen. Der Versuch, sich selbst zu managen scheiterte: Wichtige Shows wurden in letzter Minute abgesagt.

Ihre letzten Jahre verbringt Simone in der Schweiz, Holland und Frankreich. Nach Jahren in Depression und in schlechter körperlicher Verfassung, feierte Nina Simone 1987 ein großes Comeback. Fast 30 Jahre nach der Veröffentlichung ihres Debütalbums wird der darauf enthaltene Song "My Baby just cares for me" von einer jungen Generation wiederentdeckt – auch dank eines Werbespots. Bis zu ihrem Tod 2003 spielte sie weiterhin ihre Hits und Bürgerrechtssongs und fesselte das Publikum mit ihrem einzigartigen Temperament.


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