Organsystem Leber, Galle, Pankreas
Damit unser Verdauungssystem funktioniert, sind drei Organe wichtig: Leber, Galle und Bauchspeicheldrüse (Pankreas). Sie bilden ein komplexes Organsystem. Wie hängt es zusammen?
Jegliche Nahrung, die wir zu uns nehmen, geht denselben Weg der Verdauung: In der Mundhöhle wird die Nahrung zerkleinert und eingespeichelt. Der Magen bearbeitet sie mittels Magensäure zu einem Speisebrei. Im Dünndarm und Dickdarm werden dann diesem Speisebrei Nährstoffe, Vitamine und Wasser entzogen. Hat die Nahrung den Gastrointestinal-Trakt passiert, wird sie nach der letzten Station, dem Mastdarm, als Stuhlgang wieder ausgeschieden.
Expertin:
Prof. Dr. med. Julia Mayerle, Direktorin der Medizinischen Klinik II der Ludwig-Maximilians-Universität München; Internistin, Gastroenterologin, Endokrinologin und Diabetologin
Unterstützt wird dieses System durch drei weitere Organe: Leber, Galle und Bauchspeicheldrüse.
Der Text basiert auf Interviews mit Prof. Dr. med. Julia Mayerle, Direktorin der Medizinischen Klinik II der Ludwig-Maximilians-Universität München
Die Organe Gallenblase, Leber und Bauchspeicheldrüse erfüllen jeweils eigene Funktionen, unterstützen aber als gemeinsames System im Team die Verdauung im Magen-Darm-Trakt - wie nebengeordnete Turbinen.
Sie bewirken und regulieren durch ihre Enzyme gemeinsam die chemische Verdauung. Gallenblase, Leber und Bauchspeicheldrüse liegen geschützt im Oberbauch.
"Sie bilden ein Organ-Paket, das über den Zwölffingerdarm als Teil des Dünndarms, miteinander verbunden ist."
Prof. Julia Mayerle
1,4 bis 1,6 Kilogramm wiegt die Leber des Menschen. In diesem Organ werden über biochemische Reaktionen Nahrungsbausteine verstoffwechselt und Energie gewonnen – so wird beispielsweise Glukose zu Speicherzucker umgebaut. Die Leber setzt ihn bei Bedarf frei, um den Blutzuckerspiegel auszugleichen. Des Weiteren werden Aminosäuren in der Leber zu Eiweißen umgebaut. Und: In der Leber wird in Gallengängen die Galle produziert die zur Emulgierung von Nahrungsmitteln im Dünndarm benötigt wird.
"An der Leber hängt am Unterrand die Gallenblase als Reservoir, in dem die Galle gespeichert wird. Es gibt einen kleinen Gang, der von der Leber zu dieser Blase führt, den nennen wir Ductus cysticus. Außerdem gibt es einen etwas größeren Gang, den Hauptgallengang oder Ductus hepato-choledochus. Über ihn fließt die Galle in den Zwölffingerdarm."
Prof. Julia Mayerle
Immer, wenn Nahrung aufgenommen wird, gibt die Gallenblase ihr Sekret in den Zwölffingerdarm ab. Denn: Ohne Gallenflüssigkeit (und Pankreassaft) keine Fettverdauung. Sie emulgiert den Speisebrei im Darm.
An derselben Stelle, an der der Hauptgallengang in den Zwölffingerdarm mündet, mündet auch ein Gang ein, der von der Bauchspeicheldrüse kommt.
"Dies ist der sog. Ausführungsgang der Bauchspeicheldrüse – wir nennen ihn ductus wirsungianus. Über diesen Gang werden pro Tag 1,5 Liter eines Sekrets transportiert, das die Bauchspeicheldrüse produziert und das ebenfalls unentbehrlich für die Verdauung ist. Das ist ein sehr, sehr fein abgestimmtes System, das letztendlich über Hormone gesteuert wird."
Prof. Julia Mayerle
Rezeptoren im Magen und in der Dünndarmschleimhaut geben dem Gehirn Signale, woraufhin Gallenflüssigkeit und Bauchspeicheldrüsensekret abgesondert werden.
"Auch für mich sind das große Mengen an Sekret die da produziert werden. Wenn man weiß, dass Pankreas und Galle 2,5 Liter Flüssigkeit am Tag bereitstellen müssen, dann kann man sich vorstellen, wieviel Flüssigkeit der Mensch am Tag zu sich nehmen muss."
Prof. Julia Mayerle
Das Bauchspeicheldrüsensekret ist das eiweißreichste Sekret, das der Körper produziert. Es enthält Verdauungsenzyme, die der weiteren Zersetzung des Speisebreis dienen.
"Diese Enzyme sind aber zuerst einmal inaktiv, sonst würde sich das Organ selbst verdauen. Und erst wenn dieses Sekret in den Zwölffingerdarm gelangt, wird es dort aktiviert."
Prof. Julia Mayerle
Über die Enzyme Amylase und Lipase werden im Zwölffingerdarm Zucker, Fett und Eiweiße aufgespalten. Je besser dies funktioniert, desto leichter kann der Körper diese lebenswichtigen Stoffe aufnehmen.
"Wenn Sie essen und es würden diese Sekrete nicht freigesetzt, dann könnte der Körper die Nahrung nicht aufschließen, also keine Nährstoffe daraus gewinnen. Und Sie würden buchstäblich verhungern, obwohl Sie ausreichend Nahrung zu sich nehmen."
Prof. Julia Mayerle
Erkrankt eines der Organe im System Leber-Galle-Pankreas, kann das auch Auswirkungen auf die umliegenden Organe des Systems haben.
50 Prozent der Bevölkerung haben Gallensteine.
"Viele Menschen sind 'steinreich', ohne davon zu wissen."
Prof. Julia Mayerle
Nur bei einem kleinen Prozentsatz der Betroffenen machen Gallensteine Beschwerden. Dann jedoch können sie sehr unangenehm sein.
Wenn sich ein Stein in den Ductus cysticus (das ist ein Gang, der von der Gallenblase zum Ductus sympaticus führt) setzt und die Galle nicht mehr abfließen kann, kann es zu einer Entzündung der Gallenblase kommen.
"Dann kommt es eventuell zu einem Stau und dadurch zu einer Entzündungsreaktion. Wenn sich die Gallenblase einmal entzündet hat, sollte man sie einer Operation entfernen. Das ist ein kleiner Eingriff mit wenig Komplikationen, der auch hinterher wenig Probleme macht. Aber wenn es ganz dramatisch wird, kommt es zu einem Durchbruch der Gallenblase. Dann fließt Gallenflüssigkeit in den Bauchraum. Behandelt wird mit Antibiotika oder einer Operation."
Prof. Julia Mayerle
In der Gallenblase befindet sich das Reservoir der Galle. Muss die Gallenblase operativ entfernt werden, versorgt die Leber den Zwölffingerdarm direkt über den Hauptgallengang. Der Körper gewöhnt sich innerhalb weniger Wochen daran, dass die Gallenblase fehlt. Direkt nach der Operation können milde Durchfälle auftreten.
Auch wenn er keine Entzündung der Gallenblase ausgelöst hat, kann der Gallenstein in den großen Gallengang wandern und den gemeinsamen Ausführungsgang an der Papille verlegen (den Schließmuskel vor dem Durchtritt in den Zwölffingerdarm).
"Dann werden die Betroffenen von Kolik-artigen Schmerzen geplagt. Möglicherweise verschließt er den Zugang zum Zwölffingerdarm. Mit dem Ergebnis, dass die Galle zurückgestaut wird in die Leber."
Prof. Julia Mayerle
Zum einen wird damit kein Galle-Sekret zur Fett-Verdauung mehr zur Verfügung gestellt. Gefürchtet aber ist dann besonders eine Entzündung der Gallenwege – mit der möglichen Komplikation einer Blutvergiftung.
Da der Gang, über den Verdauungssekret von der Bauchspeicheldrüse zum Zwölffingerdarm transportiert wird, an derselben Stelle in diesen Darmtrakt mündet wie der Hauptgallengang, gibt es hier möglicherweise nicht nur einen Aufstau des Gallensekrets durch Gallensteine, sondern ebenfalls einen Aufstau des Bauchspeicheldrüsensekretes zurück in die Pankreasgänge. Die Bauchspeicheldrüse entzündet sich dann, und der Patient klagt über akute Schmerzen. Es liegt eine - im Fachjargon - akute Pankreatitis vor.
"Der Grund ist: Die Enzyme werden in der Bauchspeicheldrüse aktiviert und nicht erst im Zwölffingerdarm, zerstören also selbst Gewebe der Bauchspeicheldrüse. Auch hier gilt: Der Gallenstein muss beseitigt werden, um den Verschluss zu beheben. Ansonsten wird die Bauchspeicheldrüsenentzündung durch den Selbstverdau weiter unterhalten."
Prof. Julia Mayerle
30-35 Prozent der Pankreatitis-Fälle sind ausgelöst durch Gallensteine. Andere Ursachen sind übermäßiger Alkoholgenuss und seltener genetische Ursachen.
"Wenn zum Alkohol auch noch Rauchen dazukommt, ist das besonders ungünstig und führt dann häufiger zu einer chronischen Entzündung."
Prof. Julia Mayerle
Ist die Pankreatitis in jedem Fall heilbar?
80 Prozent der Verläufe einer Bauchspeicheldrüsenentzündung sind mild und zeigen kein Organversagen. Die Patienten werden nach drei bis vier Tagen aus dem Krankenhaus entlassen. In den wenigen schweren Fällen kann es allerdings zum Organversagen kommen.
"Wir haben leider noch keine Möglichkeiten, die Prozesse der Selbstverdauung direkt zu unterbinden und so die Entzündungsreaktion der Bauchspeicheldrüse aufzuhalten - der Verlauf ist wie eine Kettenreaktion. Denn die Enzyme können sich gegenseitig aktivieren."
Prof. Julia Mayerle
Eine kausale Therapie gibt es bislang nicht. Man kann also nicht die Ursachen dieser Entzündungsreaktionen behandeln wie man sie beispielweise bei einer bakteriellen Infektion mit einem Antibiotikum angehen kann.
"Wir können den Entzündungsmechanismus nur modulieren. Und es ist leider so, dass wir erst langsam beginnen, diese Prozesse zu verstehen. Wir können die Bauchspeicheldrüsen-Enzyme meist erst spät hemmen, so dass die systemische Entzündungsreaktion die zu einem Organversagen führen kann, bereits in vollem Gang ist. Deshalb gibt es bei diesen schweren Verläufen leider eine Sterblichkeit von bis zu 15 Prozent, was sehr hoch ist."
Prof. Julia Mayerle
Hepatitis ist nicht gleich Hepatitis. Eine Leberentzündung hat verschiedene Auslöser und kann auch durch Viren ausgelöst werden. Die häufigsten Viren, die eine Hepatitis hervorrufen werden in die Erreger A bis E einteilt. Hepatitis ist eine der verbreitetsten Infektions-Krankheiten der Welt.
Einige Formen heilen spontan vollkommen aus (A und E), andere (B, C und D) können in einen chronischen Verlauf mit Entwicklung einer Zirrhose übergehen und fordern jährlich weltweit Millionen von Opfern.
Die eher harmlosen Formen der Leberentzündung - die Erreger A und E - werden meist aus Ländern mitgebracht, in denen die hygienischen Standards schlecht sind. Die Übertragung erfolgt durch verunreinigte Nahrungsmittel und verunreinigtes Wasser (auch Eiswürfel) und Salate. Als Faustregel gilt: "Cook it, peel it or forget it." Das heißt: Ungekochte Nahrungsmittel und ungeschältes Obst sollten vermieden werden. Bei der Hepatitis E – einer Hepatitisform, die an Häufigkeit und Bedeutung wohl zunimmt - gibt es neue Erkenntnisse der letzten Jahre: Eine Variante des Virus (Typ 3) wird durch Tiere (Schweine, Rotwild) übertragen, Menschen können sich bei Genuss von nicht ausreichend gegartem Fleisch dieser Tiere auch hier in Deutschland infizieren. Obwohl Hepatitis der Formen A und E selten auch einen schweren ("fulminanten") Verlauf nehmen können, heilen sie in der Regel folgenlos aus. Gegen Hepatitis A kann man sich durch eine entsprechende Impfung schützen.
Hepatitis der Formen B, C und D unterscheiden sich in ihrem Übertragungsweg von den harmloseren Hepatitisformen A und E. Die Übertragung der Krankheit geschieht durch Körpersäfte, also durch ungeschützten Geschlechtsverkehr und Kontakt mit infiziertem Blut. Der Übertragungsweg ähnelt dem von AIDS und ist somit kalkulier- und in vielen Fällen auch vermeidbar.
Hepatitis B ist eine auch in Deutschland weit verbreitete Infektionskrankheit, die gerade bei Kindern häufig in eine chronische Form übergeht. Eine komplette Elimination des Hepatitis-B Virus ist im chronischen Stadium nicht möglich, man kann aber die Vermehrung des Virus bei bestehender Leberentzündung (erhöhte Serumleberwerte) medikamentös hemmen und so einer Narbenbildung der Leber vorbeugen. Eine gut verträgliche und wirksame Schutzimpfung ist verfügbar und wird jedem Neugeborenen und Jugendlichen in Deutschland angeboten. Der Impfschutz hält zehn Jahre, dann empfiehlt Prof. Zachoval eine Auffrischimpfung.
Viele Hepatitis-C-Patienten sind oder waren Drogen-Konsumenten. Andere haben sich in der Vergangenheit (vor 1992) mit Blutkonserven infiziert, denn erst seit Anfang der Neunziger Jahre gibt es ausreichend empfindliche Tests, um den Hepatitis-C-Erreger nachzuweisen. In Deutschland leben mehrere 100.000 Virusträger, viele ahnen von ihrer Hepatitis-C Infektion nichts. Das Virus ist extrem wandelbar und deshalb eine große Herausforderung für das Immunsystem.
Eine chronische Hepatitis C ist mit einem nicht unbeträchtlichen Zirrhose-Risiko belastet. Eine Impfung existiert nicht. Seit 2014 wurden neue orale Medikamente (d.h. in Form von Tabletten) zugelassen, die die früher verwendete Interferon-Spritzenbehandlung ersetzen, exzellent verträglich und hochwirksam gegen alle Hepatitis-C-Virusvarianten sind (Heilungsquote 95 Prozent!). Die Behandlungsdauer ist mit acht bis zehn Wochen im Gegensatz zur früheren Interferonbehandlung sehr kurz.
Hepatitis D ist eine seltene Form der Leberentzündung, die nur in Zusammenhang mit Hepatitis B - gehäuft in Süd- und Osteuropa - auftritt. Mit der entsprechenden Impfung gegen Hepatitis B kann man sich auch vor dieser Form schützen. Die Behandlungsmöglichkeiten der chronischen Hepatitis D sind bis heute sehr unbefriedigend, jedoch sind Fortschritte in naher Zukunft auch hier zu erwarten.
Symptome, die auf einen Leberschaden hinweisen - von der harmlosen Verfettung bis zur beginnenden Zirrhose - sind meist sehr unspezifisch: Müdigkeit, Blähungen und ein Druckgefühl im rechten Oberbauch sind Symptome, die viele Menschen haben, auch ohne leberkrank zu sein. Erst wenn es zu Juckreiz, Appetitverlust, Gewichtsveränderungen oder einer Gelbfärbung der Augen kommt, sich der Urin dunkel färbt und der Stuhl hell - dann werden Patienten aufmerksam. Doch häufig ist dann schon viel Zeit vergangen und die Krankheit hat ein fortgeschrittenes Stadium erreicht.
Tipps von Prof. Mayerle:
"Zur Vorbeugung empfiehlt es sich deshalb unbedingt, alle zwei Jahre einen Gesundheits-Check zu absolvieren, bei dem die Leberwerte im Blut kontrolliert werden und der Oberbauch mit Ultraschall untersucht wird. Eine ausgewogene Ernährung, Vermeidung von Übergewicht, ausreichende körperliche Bewegung, Vermeidung schädlicher Substanzen, unnötiger Medikamente oder Nahrungsergänzungsmittel hilft, 'lebergesund' zu bleiben oder zu werden!"
Prof. Mayerle
Bei Beschwerden und akuten Schmerzen im Oberbauch ist das Mittel der ersten Wahl bzw. der Diagnostik die Ultraschalluntersuchung.
Gallenblase, Gallensteine und die Entzündung der Gallenblase lassen sich im Ultraschall exzellent darstellen.
"Genauso die Erweiterungen der Gänge und manchmal auch, ob ein Stein festhängt. Hier kann man die Erweiterung des Gallengangs als indirektes Zeichen für einen Gallenstein werten"
. Prof. Julia Mayerle
Soll trotzdem ausgeschlossen werden, ob doch noch ein Gallenstein im Gallengang festhängt, greifen Gastroenterolog*innen auf eine Endosonographie zurück – mit dieser Untersuchung kann der Gallengang sonographisch durch die Magenwand betrachtet werden.
"Wir haben hier wenige Komplikationen."
Prof. Julia Mayerle
Bei der Bauchspeicheldrüse wiederum ist es auch im Ultraschall oft schwierig, Entzündungen zu erkennen. Häufig liegt Luft im Darm davor:
"Und Luft ist der beste Schallauslöscher."
Prof. Julia Mayerle
So kann man Betroffene zur Computertomografie mit Kontrastmittel schicken, um die Ausdehnung einer Bauchspeicheldrüsenentzündung zu erkennen. Dies sollte allerdings nur erfolgen, wenn die Diagnose unklar ist oder zur Planung einer Therapie.
Kann der einzelne für Leber, Galle und Bauchspeicheldrüse vorsorgen?
"Aber all das gilt nur, wenn es Beschwerden gibt! Es gibt keine Empfehlung für diagnostische Vorsorge. Aber natürlich ist es in verschiedener Hinsicht wichtig, einen gesunden Lebensstil zu führen. Unser Lebensstil hat die Häufigkeit von Erkrankungen in diesem Bereich befördert."
Prof. Julia Mayerle
So kann Übergewicht der Grund für Gallensteine sein.
"Und andersherum: Wenn sehr, sehr dicke Menschen schnell strukturiert abnehmen, können Gallensteine entstehen. Man kennt das Phänomen auch vom momentan beliebten Intervallfasten."
Prof. Julia Mayerle
Gibt es noch ungeklärte Faktoren?
Noch ist nicht komplett wissenschaftlich geklärt, wie das Zusammenspiel von Leber, Galle und Bauchspeicheldrüse, wie diese "Turbinen des Verdauungsapparates" im letzten Detail funktionieren. Noch wird z.B. erforscht, welche Rolle das Mikrobiom im Darm spielt.