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Sterben in Würde Palliativmedizin und Hospizarbeit

Palliativmedizin ist die ganzheitliche umfassende Versorgung von Menschen, die mit lebensbedrohlichen Erkrankungen konfrontiert sind, und für die die Medizin keine Maßnahmen zur Heilung mehr treffen kann.

Von: Sabine März-Lerch

Stand: 27.11.2023 |Bildnachweis

Die Palliativmedizin beinhaltet die Betreuung und Begleitung schwer kranker Menschen in ihrer letzten Lebensphase - im Bild: Hand halten am Krankenbett | Bild: picture-alliance/dpa

Palliativmedizin ist die ganzheitliche umfassende Versorgung von Menschen, die mit lebensbedrohlichen Erkrankungen konfrontiert sind, und für die die Medizin keine Maßnahmen zur Heilung mehr treffen kann.

Expertin:

Prof. Dr. Claudia Bausewein, Direktorin der Klinik und Poliklinik für Palliativmedizin, LMU Klinikum München, Lehrstuhlinhaberin für Palliativmedizin

Unheilbare Krankheiten sind häufig mit großen körperlichen, seelischen, sozialen und spirituell-existentiellen Belastungen verbunden. Um diese zu lindern, arbeiten in der Palliativmedizin die verschiedensten Berufsgruppen zusammen: Ärzt*innen, Pflegende, Sozialarbeiter*innen, Psycholog*innen, Seelsorgende, Physiotherapeut*innen, Atemtherapeut*innen, u.a. Die Bedürfnisse der Patienten stehen dabei im Fokus, weniger die zugrundeliegende Erkrankung. Der Anspruch der Palliativmedizin ist, Lebensqualität bis zum Lebensende zu erhalten - auch angesichts einer begrenzten Lebenszeit von Monaten, Wochen oder Tagen. Und ein würdevolles Sterben mit möglichst wenig Schmerzen und anderen Beschwerden zu ermöglichen.

Der Text beruht auf einem Gespräch von Sabine März-Lerch mit Prof. Dr. Claudia Bausewein, Direktorin der Klinik und Poliklinik für Palliativmedizin, Klinikum der Universität München, Lehrstuhl für Palliativmedizin.

Einen Mantel (=Pallium) um den unheilbar kranken Patienten legen und ihn behüten, das ist die Bedeutung der Palliativmedizin. Im Zentrum stehen die Schmerztherapie und die Linderung anderer Symptome des Patienten wie Atemnot, Unruhe, Angst, Mundtrockenheit oder Depression – immer mit dem Ziel der Verbesserung der Lebensqualität. Und zur Lebensqualität gehören auch die Aspekte des psychosozialen und spirituellen Lebens. Insofern begleiten Psychologen die Patienten, Sozialarbeiter schalten sich ein, Seelsorgende kümmern sich um Patienten und Angehörige. Oft geht es einfach darum, Ansprache und Aussprache zu ermöglichen: In der Familie ist das Thema Tod und Sterben oft Tabu, aber selbst der eigene Hausarzt hat manchmal Probleme, über das nahende Ende zu sprechen. Was Palliativmedizin bedeutet – drei Vorurteile:

Vorurteil 1: "Palliativmedizin richtet sich nur an Krebspatienten."

"Es wird immer gedacht, für eine palliativmedizinische Versorgung muss man eine Tumorerkrankung haben - das stimmt überhaupt nicht mehr. Wir wissen aus dem klinischen Alltag und der Forschung, dass Menschen mit Erkrankungen der Lunge, des Herzens, der Niere, der Leber oder mit neurologischen Erkrankungen genauso palliativmedizinische Betreuung brauchen."

Prof. Dr. Claudia Bausewein

Vorurteil 2: "Palliativmedizin ist nur für Menschen in der Sterbephase gedacht."

"Es ist ein Vorurteil, dass die Palliativmedizin erst dann vonnöten sei, wenn jemand sterbend, also in den letzten Lebenstagen, ist. Wir wissen aus wissenschaftlichen Untersuchungen, dass Patient*innen mit einer unheilbaren Krankheit schon Wochen, Monate oder gar Jahre vor dem eigentlichen Lebensende starke Beeinträchtigungen haben können – körperlicher, seelischer oder sozialer Natur. Und wir wissen, dass die Patient*innen einen großen Benefit davon haben können, wenn wir dann schon Palliativmedizin anbieten, ja sogar, dass im Einzelfall Menschen dadurch länger leben anstatt schneller zu sterben." Prof. Dr. Claudia Bausewein

Vorurteil 3: "Palliativmedizin ist gleichzusetzen mit Schmerztherapie."

"Das wäre zu kurz gegriffen: Wir sind nicht nur da, wenn jemand Schmerzen hat, sondern auch bei allen anderen Symptomen. Denn unheilbar kranke Menschen haben neben Schmerzen auch viele andere Belastungen, die es zu lindern gilt - wie Atemnot, Erbrechen, Übelkeit, Schlafstörungen, Ängste oder Depressionen."

Prof. Dr. Claudia Bausewein

Solange solche Vorurteile über Palliativmedizin kursieren, werden viele Menschen zu spät oder gar nicht in die Betreuung kommen. Immer noch fehlt es an breitem Wissen über Palliativmedizin. Mit Konsequenzen für den einzelnen Betroffenen:

"Die Menschen denken, wenn ich auf die Palliativstation komme, dann ist das Lebensende da, dann werde ich sterben. Ihre Reaktion ist, dass sie eine mögliche Aufnahme auf die Palliativstation so lange wie möglich hinausschieben. Sie kommen sehr spät, und dann ist die Wahrscheinlichkeit natürlich hoch, dass sie hier sterben. Viele Patient*innen kommen auf die Station und sagen nach zwei bis drei Tagen ‚Mein Gott, wäre ich doch eher gekommen‘."

Prof. Dr. Claudia Bausewein