Porträt eines Hinterhofs Hinter grauer Städte Mauern
Hinterhof – ein Begriff, der viele Assoziationen weckt; positive eher nicht. Denn viele Hinterhöfe habe ihre besten Zeiten hinter sich. Oder? Elmar Tannert hat in Nürnberg nachgeforscht und Überraschendes gefunden.
Es gibt Hinterhöfe, in denen ist richtig was los. Kinder toben, Katzen finden ihr Paradies, Spatzen streiten, Tauben gurren, Blumenkästen wie bunte Tupfer zwischen den Mauern.
Und dann gibt es andere Hinterhöfe, mehr oder weniger vergessene. In Nürnberg liegt solch ein Hinterhof in der Sonne und träumt von seinen goldenen Zeiten, die weit in der Vergangenheit liegen. Damals war sein Leben noch mit Sinn angefüllt. Er bot Platz zum Wäschetrocknen, zum Teppichreinigen, und auch Kinderspielplatz war er.
Aber irgendwann wurden die Kinder immer weniger und die Fahrräder und Mülltonnen immer mehr. Wie lang das her ist, weiß er selbst nicht mehr genau. Er weiß nur, dass seine Tage seither sehr einförmig verlaufen. Müll wird runtergebracht, Müll wird abgeholt, Fahrräder werden abgestellt, Fahrräder werden abgeholt. Sonst passiert nicht viel. Meistens ist er einfach nur da, und er weiß gar nicht, für wen und wozu.
Das Leben findet woanders statt. Auf den Balkonen ringsumher. Und in anderen Hinterhöfen. Ach ja, seufzt der Hinterhof. Bei den anderen, da ist was los! Warum nicht bei mir?
"Tja, ein bisschen verwahrlost tatsächlich, viel Schutt und Fahrräder, und ein bisschen ungepflegt. Also, andere Hinterhöfe sehen ein bisschen ansprechender aus, aber unseren kann man schon noch, keine Ahnung, ein bisschen renovieren, ein bisschen was umbauen."
Paul
Doch es muss nicht für immer so bleiben. Andere Hinterhöfe haben's schon geschafft. Der vom Stoffzentrum Maderer in Nürnberg zum Beispiel. Er wird jeden Tag gründlich gefegt und dann in prachtvolle Gewänder gekleidet, ausstaffiert mit hunderten von Stoffen in allen Farben und Mustern.
"Wir bieten über achttausend Stoffe an für Bekleidung, Deko, Tischdecken, Möbelbezug. Und auch für Veranstaltungen, Events, und versuchen, möglichst jeden Kundenwunsch zu erfüllen. Man kann auch viel bestellen, für Bestellware haben wir Ordnerlaschen von Lieferanten, und nebenbei bieten wir auch noch Nähkurse an."
Ralf Maderer
Und Geschichte hat der Maderer-Hinterhof auch zu bieten. Die Garagen nämlich, in denen jetzt Stoffe lagern, wurden schon 1907 gebaut, für die ersten Taxis, die in Nürnberg gefahren sind. Und gespielt hat dort Heinz Strehl, bestimmt mit einem Ball, denn er wurde später Torschützenkönig beim 1. FCN.
In unserem vergessenen Hinterhof dagegen spielen höchstens ganz andere Zeitgenossen.
"Dieser Hof ist Teil von einem ganz großen Hinterhof, von zehn, zwanzig Häusern, und jedes Haus hat einen anderen Garten und eine andere Pflege für diesen Hof. Wir bekommen natürlich auch Mäuse rein und auch Ratten. Einmal hatten wir richtig dicke vom Kopernikusplatz drin. Da gibt's Gott sei Dank auch Leute, die das bekämpfen. Denen bin ich ganz dankbar."
Kathrin
Auch der Hinterhof ist dankbar. Wenn die Ratten erst einmal weg sind, kommt vielleicht wieder mehr Mensch, denkt er sich. Und außerdem freut er sich über die Gesellschaft, die er in Gestalt des Rattenjägers bekommt. Es ist Harald aus dem zweiten Stock, der in diesem Sommer im Auftrag der Hausgemeinschaft bereits ein gutes Dutzend Ratten erlegt hat.
"Ich mag das Vergiften von Viechern nicht. Ich finde das einfach unfair. Einerseits. Und andererseits … Mäuse wiegen vielleicht zwanzig, dreißig, fünfzig Gramm, aber Ratten können durchaus fünfhundert Gramm wiegen. Wenn die dann irgendwo in irgendeiner Ecke verrecken, dann stinken die schon eine ganze Zeit vor sich hin. Das verhindert man durch Schlagfallen, die die Viecher einfach gleich umbringen."
Harald
Im Kunst- und Kurhaus Katana ist der Hinterhof integriert in die Aktivitäten des Kulturvereins. Dort finden Konzerte, Lesungen und Ausstellungen statt.
"Da kann man die Toilette nutzen, da gibt's eine kleine Küche, wo man, wenn man grillen will, Salate vorbereiten kann, da ist eine Spülmaschine. Wenn man im vierten Stock wohnt und sonst ständig die Treppe rauf- und runterlaufen muss, ist das deutlich unattraktiver, als wenn man einfach quasi nur um die Ecke muss und das ganze Geschirr und so weiter auch da ist. und dadurch hat sich dann eine sehr gute Synergie entwickelt zwischen der Katana und dem Hof und den Hausbewohnern."
Martin Fürbringer
Also eigentlich ganz einfach, meint der Hinterhof. Die Menschen müssen sich nur einig sein und an einem Strang ziehen, und schon ist der Hof ein gemeinsames Nest, in dem auch die Kinder einen Platz zum Spielen haben. Da kann es natürlich auch mal lauter werden, aber wohl nicht so laut wie in der Autowerkstatt Misikos, einem echten Hinterhofbetrieb, wie er selten geworden ist.
"Ja, das gibt's immer mal wieder, dass irgendwas getestet werden muss, und dann muss halt mal hochgedreht werden, und dann kann's durchaus sein, dass es auch einmal ein wenig lauter werden kann. Aber immer zu den normalen Zeiten eigentlich, also nicht um 6 Uhr in der Früh oder um 23 Uhr nachts. Dass es einmal lauter wird, das ist eigentlich ganz normal, das ist nicht nur bei uns so."
Christian Misikos
Früher, denkt der Hinterhof, gab es viel mehr Hinterhofbetriebe. Er kann sich noch gut an die Zeiten erinnern, in denen viele Hinterhöfe der Nachbarschaft Werkstätten beherbergten, manchmal sogar kleine Fabriken, in denen alles Mögliche hergestellt wurde: Bleistifte, Regenschirme oder Schrauben. Da gehörte der tägliche Lärm zum Leben.
Aber auch Traum-Hinterhöfe gibt es, nicht nur ruhig, sondern grüne Oasen in der Stadt, ganz ohne Mülltonnen und Fahrräder. So ein paradiesischer Garten, wo Menschen, Fische, Vögel und Bienen einträchtig zusammenleben, ist Die Wiese im Nürnberger Süden.
"Die Wiese ist ein urban gardening-Projekt, ein Nachbarschaftsgarten. Wir haben hier die Möglichkeit, Pflanzen zu ziehen. Größtenteils haben wir Gemüse, Tomaten, Gurken, Kräuter, wir haben von extern ein Solawi-Projekt [Anm. d. Red. Solawi = Solidarische Landwirtschaft] hier stehen. Wir haben ein Aquaponiksystem, ein Aquarium quasi, das sich selbst versorgt, selbst reinigt und dabei dann noch Pflanzen mitdüngt. (…) Steht das Tor offen, kann jeder reinkommen, gärtnern oder sich einfach nur hinsetzen, was trinken, was lesen und sich unterhalten."
Robert Herold
Dabei befindet sich Die Wiese nicht wirklich in einem Hinterhof, eher in einer Lücke zwischen den Häusern, die früher ein Schlosshof war. Einst war dieser Teil der Stadt das Dorf Steinbühl, in dem bis zum Zweiten Weltkrieg ein kleines Wasserschloss stand. Davon ist nur ein Teil des Schlossgartens übriggeblieben, auf dem sich heute Die Wiese befindet. Und zu einer Wiese gehören natürlich auch Bienen.
"Bienen leben supergerne in der Stadt. Es gibt inzwischen Untersuchungen, die zeigen, dass die Bienen in der Stadt mehr Honig machen als auf dem Land, weil überall ein bisschen was blüht. Mal hier auf dem Balkon, mal da im Stadtgarten, mal da am Straßenrand, und es ist immer was da. Wenn du am Land bist, da gibt's zwar das riesengroße Rapsfeld, aber dann kommt der Traktor, und dann haben die Bienen auf einmal Hunger, weil nix mehr da ist. Deswegen: Stadt ist besser, weil abwechslungsreicher, weil mehr verschiedene Blüten. Und Bienen können tatsächlich ganz schön weit fliegen. Einen drei-Kilometer-Radius, wenn's sein muss, machen die schon."
Katja Angermaier
Hobbyimkerin Katja und betreut nach Feierabend vier Bienenvölker. Und dabei kommt natürlich auch Honig heraus: zweihundert Gläser Nürnberger Südstadthonig pro Jahr.
So eine richtige Attraktion, die Menschen anlockt, das wäre natürlich genau das, wovon der ungeliebte, brachliegende Hinterhof träumt. Und auf einmal wird sein Traum wahr. Da kommt der Tag, an dem seine Wünsche erfüllt werden, und alles findet zugleich statt: Party, Raritäten-Basar, glückliche Menschen. Denn Jule und Nina aus der Nachbarschaft sind auf die Idee gekommen, im Viertel einen Hinterhof-Flohmarkt zu organisieren.
"Wir haben auf jeden Fall zuerst mal ein sehr schönes Plakat entworfen, haben es dann ausgedruckt, überall hingehängt und eine e-Mail-Adresse eingerichtet, haben eine Karte gemacht, wo man alle Hinterhöfe sehen konnte und hatten einfach sehr, sehr viel Spaß dabei."
Nina
Der Hinterhof selbst hat ebenfalls Spaß. Plötzlich sind sie da, die Menschen aus seinem Haus, die so lang nichts von ihm wissen wollten, und schleppen alle möglichen Dinge an, die sie loswerden wollen! Und fast noch wichtiger: das Publikum kommt nicht nur wegen der vielen Dinge, die es zu kaufen gibt. Es kommt auch wegen ihm, dem Hinterhof.
"Wir wohnen hier um die Ecke und wir wollen uns vor allem die Architektur der Hinterhöfe anschauen. Und wenn wir irgendwas sehen, was wir kaufen können, zum Beispiel diese Tasche, dann greif ich auch zu!"
Kundin
"Also, wir gucken nicht nur nach den Dingen, die ausgestellt werden, sondern auch in die Innenhöfe rein. Meine Frau und ich wohnen erst seit ein paar Monaten im Nürnberger Nibelungenviertel, und deshalb ist es natürlich superspannend, in die Innenhöfe zu schauen, und auch die Leute kennenzulernen, die hier leben."
Kunde
Leute kommen, Leute gehen, und vor allem: Leute bleiben. Aus dem Hinterhofflohmarkt wird unversehens die lang ersehnte Hinterhofparty . Der Hinterhof ist glücklich. Stimmt doch, dass es nicht immer trist und verlassen bleiben muss. Endlich hat man ihn entdeckt. Oder vielmehr: wieder entdeckt!