radioTexte - Das offene Buch Gaito Gasdanow: "Ein Abend bei Claire" (1/2)
Sonntag, 05.11.2017
11:00
bis 11:30 Uhr
- Als Podcast verfügbar
BAYERN 2
Claire ist Koljas zeitlebens unerfüllte Liebe, seine erste. Deutlich wird ihm das erst als Soldat der Weißen im russischen Bürgerkrieg.
Mit "Ein Abend bei Claire" wurde der junge Gaito Gasdanow 1929/30 berühmt
Lesung: Nico Holonics
Moderation: Cornelia Zetzsche
Als Kolja aus St. Petersburg im Juni 1917 die bezaubernde Claire kennenlernt, ist er Gymnasiast und ahnt nicht, dass diese Begegnung für ihn zum Wendepunkt wird. Sie markiert das Ende der Kindheit und das Ende des Zarenreiches, in dem der Sohn wohlhabender Bürger aufgewachsen war. Die Aufstände im Februar führten zur Abdankung des Zaren, die Bolschewiki gewinnen an Macht, mit der Oktober/November-Revolution beginnt der Bürgerkrieg zwischen Weißen und Roten, der fünf Jahre dauern und acht Millionen Menschenleben fordern wird. Kolja meldet sich freiwillig, mit sechzehn Jahren, von der Schulbank weg, gegen den Willen der Mutter und gegen den Rat des Onkels. Nicht aus Interesse am Krieg, nicht aus falsch verstandener Abenteuerlust, sondern weil er das Wesen des Menschen erforschen will. Und so sind seine Kriegsschilderungen auch weniger Kampfberichte als vielmehr sensible Porträts, mit spitzer Feder und menschenkundigem Blick skizziert.
"Ein Abend bei Claire"
Der Roman beginnt, wie der Titel verheißt, mit einem Abend bei Claire, die längst einen anderen geheiratet hat und, wie Kolja, im Pariser Exil lebt. Was folgt, ist ein melancholischer Blick zurück auf längst vergangene russische Kindheitstage, den Dienst im Bürgerkrieg, die Emigration über Bulgarien und das Schwarze Meer nach Paris. Und Kolja beschreibt sich selbst, seine Ernüchterung und Verlorenheit.
Ein großer Wurf
Über Nacht machte dieser Bildungs- und Künstlerroman Gaito Gasdanow 1929/30 berühmt. Jahrelang hatte er sich mit Gelegenheitsarbeiten und als Taxifahrer über Wasser gehalten. Dann gelang ihm der sensationelle Erfolg. Sogar Maxim Gorki schrieb ihm in einem herzlichen Brief , er habe das Buch "mit großem Vergnügen, sogar mit Genuß gelesen", und so etwas komme selten vor. Zusammen mit Vladimir Nabokov galt Gaito Gasdanow von da an als eines der größten Talente unter den zahlreichen russischen Exil-Schriftstellern. 85 Jahre später übertrug Rosemarie Tietze den Roman ins Deutsche. Die zwei Folgen spiegeln den Abend bei Claire in Paris, das Gespräch mit dem Onkel, Krieg und Abschied.
Lesung: Nico Holonics. Moderation: Cornelia Zetzsche.