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Patrick Isermeyer liest Feridun Zaimoglu: Sohn ohne Vater

Der Vater ist gestorben. Der Sohn – Erzähler im neuen Roman von Feridun Zaimoglu – muss in die Türkei. Die Reise ist Abenteuer und Rückblick. Der Schriftsteller im Gespräch über die Geschichte einer „seltsamen Familie“, Lesung mit Patrick Isermeyer.

Stand: 16.04.2025 |Bildnachweis

Dorffriedhof Türkei | Bild: picture alliance Montage BR

"Was soll ich tun? Meine Schuhe stehen unter dem Tisch. Soll ich sie anziehen? Es schickt sich nicht, in bloßen Wollsocken dazusitzen, wenn man seines Vaters gedenkt. Zu dieser Stunde wird das Totengebet gesprochen. Mein Vater in drei Leintücher gehüllt in der Holzkiste. Mein in Kampferöl gesalbter Vater. Die Holzkiste auf der Totenbahre vor dem Gotteshaus. Das Totengebet im Stehen. Die Grablegung meines Vaters im Leichengewand. Das Grab möge ihm weit sein. Er ist zum Gerechten geschritten."

(aus: Sohn ohne Vater von Feridun Zaimoglu)

Der Anruf der Mutter kommt in aller Frühe. Der Vater sei gestorben, teilt sie dem Sohn im fernen Deutschland am Telefon mit. Sie wählt dabei eine besondere Formulierung. Sie sagt: Der Vater sei zum Gerechten geschritten. Für den Sohn, Schriftsteller in Kiel, so oder so ein tiefer Einschnitt. Er weiß, er muss eigentlich umgehend ins Land der Eltern – in die Türkei – aufbrechen. Er muss dort, als anständiger Sohn, dem Toten die letzte Ehre erweisen. Ebenso weiß er: Er leidet an panischer Flugangst und kann deshalb den weiten Weg nicht auf dem schnellsten Weg zurücklegen. Wohl oder übel wird er mit dem Auto fahren müssen. Dann aber ist er nicht pünktlich am Grab. Was bedeutet das für ihn, den Sohn?

Die Strecke – an die 3.000 Kilometer in eine Richtung – legt der Erzähler in Ferdinand Zaimoglus Roman „Sohn ohne Vater“ schließlich in einem Wohnmobil zurück, unterstützt von einem befreundeten Brüderpaar aus der Nähe von Dortmund. Die Reise quer durch Mittel- und Osteuropa gestaltet sich mehr und mehr als Abenteuer, unter anderem wegen eines Fahrzeugbriefes, der nur als Farbkopie und nicht im Original vorliegt. Gleichzeitig wird die lange Fahrt zum Anlass für die intensive Rückschau auf die Geschichte einer Familie zwischen Deutschland und der Türkei. Unter anderem führen die Erinnerungen zurück in den Münchner Stadtteil Moosach, wo die Eltern, versehen mit dem wenig schönen Etikett „Gastarbeiter“, und ihre beiden Kinder eine Zeitlang lebten. „Es ist auch eine Familie, die überhaupt erst in Deutschland zu ihrer Geschichte findet“, sagt Feridun Zaimoglu im Gespräch über seinen Roman. „Es ist eine Familie, die bereichert wurde durch Deutschland.“

Feridun Zaimoglus „Sohn ohne Vater“ – bei Kiepenheuer und Witsch erschienen – ist mal melancholisch und traurig, mal wild und mal voller Komik: eine große Erzählung über das, was Kinder und Eltern miteinander verbindet und verbinden kann, auch über den Tod hinaus. Im Bayern 2-Podcast „Buchgefühl. Gespräch und Lesung“ erzählt Zaimoglu über eine große Reise, die auf ihre Weise zur Lebensreise wird. Der Schauspieler Patrick Isermeyer, Ensemble-Mitglied am Münchner Residenztheater und dort unter anderem im „Sommernachtstraum“ zu erleben, liest aus „Sohn ohne Vater“.

Mit freundlicher Genehmigung des Verlages Kiepenheuer und Witsch präsentieren wir Gespräch und Lesung im Podcast „Buchgefühl“, zu finden in der ARD Audiothek. Redaktion und Moderation: Niels Beintker







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