Viehscheid im Allgäu Zwischen Tradition und Touristentheater
Riesen Tourismus-Tamtam um den Viehscheid im Allgäu, der pittoresk sein mag, aber auf manchen Alpen geht es hinter der Kulisse gar nicht romantisch zu. Da kommt der Käse vom Lidl und die Kuh ist die Deko.
Vom Jahrmarkt bis zur alpinen Cowboyatmosphäre wird in Bad Hindelang alles geboten. So ungefähr 20.000 Menschen dürften da sein, um 1000 Rinder mit ihren Hirten von den Bergen zu empfangen. Beide, Hirten und Besucher, haben sich in Schale geworfen.
Bockige Jungrinder sträuben sich gegen den Kälberstrick und die Aussicht auf den heimischen Stall. Manche der Hirten bleiben aber lieber am Rand des Geschehens - der Grat ist schmal zwischen der ehrlichen Feier der Bergbauern nach geglückter Alpsaison und dem Touristenspektakel. Das aber gehört halt dazu, sagt Franz Hage, der Vorsitzende des Alpwirtschaftlichen Vereins im Allgäu und selbst Bergbauer mit grauem Vollbart und wettergegerbtem Gesicht:
"Das ist eine dritte Saison, da lebt das ganze Oberallgäu davon, auch die Bauern"
Franz Hage, Bergbauer
Tatsächlich scheinen Milchkrise, Strukturwandel und Höfesterben in diesen Wochen der Viehscheide ganz weit weg. Dass hinter den Kulissen oft Viehtransporter die Rinder über 100 Kilometer zurück in den rationalisierten Stallbetrieb fahren – geschenkt.
Längst stammt die Hälfte des Alpviehs von Betrieben aus dem Flachland von der Donau bis Augsburg. Und der Hochleistungsbetrieb der industrialisierten Landwirtschaft schickt Pensionsvieh, das sonst gar nicht aus den Ställen kommt.
Erst im Vorjahr wurden die ohnehin hohen (Kritiker sagen: zu hohen) Fördergelder für die Almbewirtschaftung wieder erhöht. Zwischen 550 und 650 Euro werden pro Hektar Almweide ausbezahlt. Die Gesellschaft honoriert damit die besonderen Leistungen für die Kulturlandschaft. Über negative Ausreißer spricht man nicht, auch nicht bei den Landwirtschaftsämtern, die die Almen überprüfen. Offenbar wird von offizieler Seite nicht viel Wert darauf gelegt wird, hier ein differenziertes Bild zu zeigen oder gar Rückschlüsse auf die Förderbeträge zu ziehen.
"Bayern gibt diese Prämie pauschal für alle Betriebe oberhalb 1000 Meter aus. Es gibt tiefgelagerte Alpen, wo Sie keinen nennenswerten Unterschied zum Tiefland haben. Und das ist nicht Sinn der Almwirtschaft. Zum Leitbild, auch zur Begründung der hohen Fördermittel gehört die Ökologie."
Alfred Ringler, Biologe
In Bayern ist die Almwirtschaft halt eine heilige Kuh. Dabei würden klare Qualitätskriterien der Almwirtschaft auch noch an anderer Stelle guttun: von über 600 Alpen im Allgäu sind 170 bewirtschaftet, aber nur 40, also weniger als ein Viertel, verpflichten sich im Verein „Alpgenuss“ auf regionale Produkte. Der Bürgermeister von Ofterschwang, Alois Ried, möchte das als Vorstand des Vereins zukünftig ändern. Sein Ziel ist auf jeden Fall, die nächsten Jahre mindestens noch mal 40 Alpen hinzubekommen.
"Der Gast, der zu uns kommt, der möchte die regionalen Produkte, aber nicht Butter vorfinden, den’s bei der Lufthansa auch gibt"
Alois Ried, Bürgermeister Ofterschwang
Aldi auf der Alm statt selbst produzierter Milch, Wurst und Käse vom Ort? Eigentlich kaum zu glauben. Aber selbst in Bad Hindelang beim Viehscheid wird zwar Honig aus Sardinien und allerhand Jahrmarktskrempel verscherbelt, aber kein Stand bietet die hochwertigen Bio-Produkte von den eigenen Hausbergen. Dabei hat sich gerade Bad Hindelang mit einem besonderen Ökomodell einen wirklich guten Ruf erarbeitet. Themen, die in der Viehscheid-Folklore untergehen.