"Die Toten" Der neue Roman von Christian Kracht
"Die Toten“ spielt am Vorabend des Faschismus an drei Orten: in Berlin, Tokio und Los Angeles. Die belletristische Historienmalerei des ehemaligen Pop-Autors gerät darin leider zum hohl drehenden Manierismus.
Bei einem vormaligen Pop-Autor, der lange Zeit die Oberfläche für die Welt nahm, wird es erlaubt sein, zunächst mal ganz en surface den Buchdeckel seines jüngsten Romans zu betrachten. Darauf findet sich ein Satz des norwegischen Schriftstellers Karl Ove Knausgård, des Inhalts, dass „Die Toten“ ein - Zitat - „brillantes literarisches Unterfangen“ sei, „das wir wohl von jetzt an als krachtianisch bezeichnen dürfen“.
Das rätselhafte Statement des Karl Ove Knausgård
An diesem Blurb ist zweierlei bemerkenswert: Zum einen, dass Literatur, die von Christian Kracht verfasst wird, „krachtianisch“ ist. Ja, was denn auch sonst? Brechtianisch wäre wohl keinem in den Sinn gekommen. Zum anderen suggeriert dieses Statement von Krachts Autoren-Kollege, der Kracht auf Norwegisch bei seinem Verlag Pelikanen herausbringt, er kenne dessen neues Werk bereits. Wie aber soll das gehen? Karl Ove Knausgård spricht kein Deutsch, und er liest es auch nicht. Um es mit einigen geschwollenen Phantasie-Verben aus diesem Roman „Die Toten“ zu sagen: Vermutlich hat Knausgård einfach „intuitiert“, was Kracht hier „narratiert“, denn im Original „gourmetisiert“ kann er es nun mal leider nicht haben.
Berlin und Tokio rüsten gegen Hollywood auf
Den Autor Kracht dürfte dieser Umschlag-Spaß jedenfalls „humorisiert“ haben. Also heiter weiter: zum Roman, der in Rede steht. „Die Toten“ spielt am Vorabend des Faschismus an drei Orten: in Berlin, Tokio und Los Angeles. Anfang der 30-er Jahre entschließt sich in Fernost ein japanischer Feingeist namens Masahiko Amakasu, eine „zelluloidene Achse zwischen Tokio und Berlin“ aufzubauen, um dem „barbarischen“ „US-amerikanischen Kulturimperialismus“, sprich Hollywoods Kino etwas Hochwertiges entgegenzusetzen. Der Tonfilm ist diesem Ästheten ein Greuel. Den Stummfilm will er in eine „hölderlinsche Zone“ führen. Er liebt den deutschen "Kulturboden" - der Begriff fällt drei Mal im Roman, und dass auch Knut Hamsun, der Autor von „Segen der Erde“, sowie Ezra Pound Erwähnung finden in „Die Toten“, ist als ironische Replik zu verstehen: als augenzwinkernde Antwort Krachts auf die absurde Kritik an seinem Vorgänger-Roman „Imperium“, Kracht sympathisiere mit rechtem Gedankengut. Dabei ist Kracht lediglich Poseur und Provokateur zugleich.
Namedropping mit Heinz Rühmann und Charlie Chaplin
Politik ist für seine Figuren nie mehr als ein fernes Rauschen. Das heraufdämmernde „Dritte Reich“, das sind dann halt „die in Deutschland bald stattfindenden dunklen Umwälzungen“, vor denen sich Lotte Eisner und Siegfried Kracauer, die hier ebenfalls kurz auftreten, mal lieber im gemütlich „ruckelnden“ Zug ins Exil flüchten. Aber nicht das ist dem Autor vorzuwerfen, dieser legitime dandyhafte Blick auf die Welt, der die vielen Hakenkreuzfahnen, die „wie geistlose Schwalben“ von den Fassaden hängen, schlicht ungustiös findet. Nein, die große Schwäche – wie schon bei Krachts Roman „1979“ – besteht vielmehr darin, dass einem die ganze Geschichte sehr schnell egal ist.
Was soll uns dieser Fingernägel kauende fiktive Schweizer Regisseur namens Emil Nägeli, der schließlich nach Tokio fliegt, um dort einen Film zu drehen, der es „vielleicht einem von tausend Betrachtern vergönnt, das ... wunderbare Zauberlicht hinter den Dingen erkennen zu können“? Müssen wir zum wiederholten Mal vom „Faserland“-Autor die „an Gerüchten und Unwahrheiten so trächtige Luft des Internats“ schnuppern, weil Masahiko Amakasu ein solches mal besucht hat? Und ist es nicht nur name-dropping, Heinz Rühmann in die Handlung einzuflechten genauso wie Charlie Chaplins Besuch in Tokio 1932?
Hohl drehender Manierismus
Da wird Literatur zur Nummernrevue. Figuren, ob real wie Ernst Hanfstaengl oder fiktiv wie die Schauspielerin Ida von Üxküll, tanzen am Leser vorüber - und lassen ihn kalt. Die matt witzelnde Sprache des Buches aber ist das größte Ärgernis. Da entpuppt sich Krachts belletristische Historienmalerei vollends als hohl drehender Manierismus. Es tauchen Adjektive wie „kaminös“ und „kretinös“ auf. Was bitte sind „exquisite Byzantien“? Derlei prätentiöse „Ludik“ läuft ins Leere, ist Spielerei um der Spielerei willen. Von Emil Nägeli, diesem natürlich hochironischen Selbstporträt Krachts, wird erzählt, er sei daran gescheitert, Flauberts Roman „Salammbô“ zu verfilmen. Kracht seinerseits bemüht sich in diesem Roman nachgerade verzweifelt, Flauberts Haltung der Undurchdringlichkeit und Unbewegtheit, der impassibilité einzunehmen – und scheitert ein ums andere Mal daran. Über Emil Nägeli sagt einer seiner Adoranten, er sei ein „Regisseur des kapriziösen Sonnenschaums“. Sein Erfinder darf fortan als Arrangeur solch „kapriziösen Sonnenschaums“ gelten.
Diwan
Für das Bayern 2-Büchermagazin hat Knut Cordsen "Die Toten" gelesen, den neuen Roman von Christian Kracht.
Samstag, 17. September 2016, 14:05 Uhr (Wiederholung 21:05 Uhr)