Susanne Breit-Keßler Gedanken zur Passionszeit
Sie stehen in den Geschäften: essbare Osterhasen in allen Größen, Hühner, Enten und Engelchen aus Schokolade, Lämmchen aus Teig.

16. April
Mittwoch, 16. April 2025
Sie stehen in den Geschäften: essbare Osterhasen in allen Größen, Hühner, Enten und Engelchen aus Schokolade, Lämmchen aus Teig. Solche "Lebewesen" kann ich einfach nicht verputzen. Es gibt Menschen, die das durchaus fertigbringen. Die meisten beißen zum Beispiel bei den Hasen zuerst die Ohren ab. Andere fangen unten an, zerteilen Figuren in ihrer Verpackung oder knuspern heimlich etwas ab und wickeln die Reste wieder ein. Einige zerquetschen alles mit der Faust - oder drehen Hasen, Lämmchen und Engeln den Kopf ab. Logisch, dass sich Interpreten finden, die daraus Rückschlüsse auf die Psyche der "Täter" und "Täterinnen" ziehen. Und was ist los mit Menschen wie mir, die das Zeug aus Sentimentalität nicht anrühren, sondern bis in alle Ewigkeit lagern? Wirft vermutlich ein düsteres Licht auch auf meinen Charakter. Natürlich kommen bei uns auch keine Hasen und Lämmchen aus Fleisch auf den Tisch. Das würde ich erst recht nicht übers Herz bringen. Zwei Nachbarinnen haben uns deshalb einen geflochtenen Hasen mit Körbchen voller Schokolade vor die Tür gestellt. Seitdem steht Oskar, so heißt der Hase, auf dem Balkontisch und trägt stets ein Blümchen bei sich. Jetzt gerade sind es - passend zur Jahreszeit - Primeln. Wir haben Oskar zum Fressen gern - aber nur im übertragenen Sinn. Man muss sich nicht alles einverleiben, was man mag.
Susanne Breit-Keßler / unveröffentlichter Text