Bayern 2 - Hörspiel


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"Phantomspeisung" von Felix Kubin Echo der Welt

Stand: 14.12.2018 | Archiv

Felix Kubin | Bild: Julie Hascoet

"Hier spricht die Stimme ohne Lunge, die Stimme aus dem leeren Raum. Dieser Raum ist zeitlos. Vom Schall verlassen. Hier pflanzt sich nichts fort, hier herrscht kein Leben. Der Gehörgang bleibt heute geschlossen. Die Luft steht still. Kein Streicheln der Flimmerhärchen, kein Vibrieren des Trommelfells. Ich bin im Vakuum der Welt. Alles ist elektrisch. Hier spricht: das Mikrofon."

Felix Kubin, Notiz vom 20.04.2014

Es markiert die Grenze zwischen bewegter Luft und elektromagnetischen Wellen, zwischen Gegenwart und Erinnerung, Leben und Tod; es ist der Beichtstuhl des Schriftstellers, die Lanze der Reporterin, das Phallussymbol des Rocksängers, das Lauschorgan des Geheimdienstes, das Sprachrohr des Redners und das Notizwerkzeug der Feldforscherin. An ihm scheidet sich die reale von der künstlichen Welt, immer soll es unsichtbar bleiben und bitte nicht ins Bild ragen: das Mikrofon. 1929 schrieb der britische Comedian Will Hay im BBC Handbuch darüber: „Ich kenne Mike schon lange. Erstmals bin ich ihm 1922 begegnet. Er hatte damals noch keinen Thron, sondern hing so herum. Ich glaube, er ist sehr empfindlich, denn man wickelt ihn in Baumwolltücher. Ich mag Mike, weil er immer so gut von mir spricht und nie krank ist und mich Menschen vorstellt, die ich ohne ihn nie kennengelernt hätte.“ In Anspielung an die strenge Zensur des BBC fügt er hinzu: „Du musst Dich immer anständig benehmen vor Mike. Du darfst keine frechen Bemerkungen machen oder auch nur im Entferntesten etwas Reißerisches von Dir geben.“

Genau das Gegenteil machte der Kölner Autor Rolf Dieter Brinkmann 1973, als er mit Tonbandgerät und Mikrofon in der Hand loszog, um Aufnahmen für die vom Westdeutschen Rundfunk produzierte Radiosendung Autorenalltag zu machen. Das Aufzeichnungsgerät wurde zur Schreibmaschine, das Mikrofon zur Waffe. So entstanden neben improvisierten Sprechakten, Gedichten und Interviews auch spontane Weltbeschimpfungen und Noise-Collagen. Felix Kubin stellt das Mikrofon – fasziniert von Brinkmanns ungebremstem und ungehobeltem Umgang damit – in den Mittelpunkt seines Hörspiels und versucht in diversen Experimenten seinem Wesen näher zu kommen.

Er begegnet seinem Versuchsobjekt mal zärtlich, mal respektlos – als Musikinstrument, Wandler und Rückkoppler. Es wird besungen, beschworen, beschimpft, übersteuert, durch den Dreck geschleift, vom Dach geworfen oder auch einfach nur sich selbst überlassen. Jenseits der Membran speist er ein Phantom, das die Welt in sich aufsaugt und verwandelt. Gottgleich wacht es an der Grenze zur anderen Seite, nimmt alles auf und gibt keine Antwort. Was bleibt, ist das Echo der Welt. The microphone is the message.

Felix Kubin: Phantomspeisung

Realisation: Felix Kubin
BR 2017

Felix Kubin, geb. 1969 in Hamburg, Musiker, Komponist, Autor. 1998 Gründung des Plattenlabels Gagarin Records. Hörspiele u.a. Syndikat für Gegenlärm (DKultur 2001), Nachtspeicher (WDR 2003), Paralektronoia (WDR 2004), Orpheus‘ Psykotron (BR 2006), Wiederhole 1–8 (WDR 2008), Die andere Seite (WDR 2011), Orphée Mécanique (BR 2006/2012, Hörspiel des Jahres 2012).


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