Bayern 2 - Hörspiel


33

Raoul Schrott Tristan da Cunha oder Die Hälfte der Erde

Stand: 22.07.2014 | Archiv

Blick auf einen Streifen der Felsküste der Atlantikinsel Tristan da Cunha mit einer kleinen Fischkonserven-Fabrik. Der Ausbruch von drei Vulkanen am 13.10.1961 hat dazu geführt das die ca. 300 Bewohner der zwischen Südafrika und Südamerika liegenden Insel ihre Heimat fluchtartig verlassen mussten. | Bild: picture alliance / PA Photos Limited

Kein Ort der Welt ist weiter entfernt von jeder menschlichen Siedlung als Tristan da Cunha, ein Vulkan mitten im Atlantik, im Dreieck zwischen Brasilien, der Antarktis und Südafrika. Und dennoch wird diese Insel, die gerade einmal zehn Kilometer Durchmesser hat, zur „Mitte der Zeit“ und zur „Mitte der Welt“ für vier Personen, deren Schicksale sich hier über Jahrhunderte hinweg kreuzen.

Noomi Morholt, eine südafrikanische Wissenschaftlerin, die im Jahr 2003 unterwegs ist zu ihrer Forschungsstation im arktischen Eis. Edwin Heron Dodgson, ein anglikanischer Priester - Bruder des Schriftstellers Lewis Carroll -, der am Ende des 19. Jahrhunderts die Inselbewohner missionieren soll. Christian Reval, der im 2. Weltkrieg als Funker auf Tristan da Cunha stationiert war und die Insel zum ersten Mal vermessen hat, auf dem Weg in die Antarktis aber unter ungeklärten Umständen stirbt. Der Briefmarkensammler Mark Thompson, der anhand seiner Briefmarken die Entdeckung der Insel und ihre Geschichte rekonstruiert - und zugleich die Geschichte seiner gescheiterten Ehe:

"Ach Marah; was versteht er von dieser unserer Insel? Was weiß er um ihre Utopie? Glaubst du wirklich, van Houten hätte dort etwas von diesem Nachmittag gesehen, der immer über diesem Land liegt, der Nacht, die vor meinen Augen hoch über den Horizont gebannt scheint, dem Wasserfall, der wie vom Wind abwärts gedrückter Rauch über der Klippe hängt und noch im Fallen innezuhalten scheint? Den Vögeln wie eine Erinnerung an eine Schrift der Luft; ein dunkler blauer Himmel über einer blau dunklen See."

Mark Thompson in 'Tristan da Cunha'

Raoul Schrott hat mit Tristan da Cunha ein vielschichtiges Erzählwerk geschaffen, in dem sich schroffe Landschaften mit Geschichten von Menschen verknüpfen, die versuchen, ganz verschiedene Vorstellungen von Liebe zu verwirklichen - inmitten des Sturms, der alle Jahrhunderte einmal die Insel verwüstet. Eigenständige Erzählstränge fügen sich zu einem vierstimmigen Kanon: Eine Komposition, in der sich Fiktion und Historie verbinden, Figuren und ihre Sehnsüchte im Licht des Mythos von Tristan und Isolde. Mit Blick auf die fernste Insel der Welt entwirft Raoul Schrott eine Geschichte der Welt - und zeichnet dabei, wie zufällig, ein umfassendes Bild des menschlichen Lebens.

Raoul Schrott: Tristan da Cunha oder Die Hälfte der Erde

Teil 1: Die Insel
Teil 2: Die Mitte der Zeit
Teil 3: Die Vierte Welt

Mit Friedhelm Ptok, Christian Redl, Jens Harzer, Sophie von Kessel, Kathrin Angerer

Bearbeitung: Michael Farin
Komposition: Helga Pogatschar
Regie: Ulrich Lampen
BR 2003, Längen: 54'02/57'56/57'32

Gespräch

Eine Insel als Sinnbild all dessen, was Welt ist: Raoul Schrott über die Arbeit an seinem Roman "Tristan da Cunha"

Raoul Schrott, geb. 1964, Lyriker, Romancier, Hörspielautor, Übersetzer. Studium der Literatur- und Sprachwissenschaft in Norwich, Paris, Berlin, Innsbruck. 1986 Sekretär des französischen Schriftstellers Philippe Soupault, danach Lektor am ‚Istituto orientale‘ in Neapel. Hörspiele u.a. lingua franca sonora I-IV (BR 1994–1995), Hotels (BR 1995, mit Klaus Buhlert, Hörspiel des Jahres 1995), Finis terrae (mit Klaus Buhlert, BR/ORF 1996), Tropen (BR/HR/ORF 1998), Die Erfindung der Poesie (BR/HR/ORF 1998), Zarzura (mit Michael Farin, BR 1998), Die Wüste Lop Nor (mit Michael Farin, BR 2000, Hörspiel des Monats August), Gilgamesh (BR 2001, Hörspiel des Monats Oktober), Die Blüte des nackten Körpers (SWR/HR 2010), Erste Erde Epos (BR 2013/14).


33