6. August 1926 Gertrude Ederle durchschwimmt den Ärmelkanal
Schon mit zwölf Jahren brach Gertrude Ederle einen Schwimmrekord nach dem anderen. Am 6. August 1926 gelang es der Tochter deutscher Einwanderer in die USA als erste Frau, den Ärmelkanal zu durchschwimmen.
06. August
Montag, 06. August 2012
Autor(in): Isabella Arcucci
Sprecher(in): Ilse Neubauer
Redaktion: Thomas Morawetz
Im Jahr 1925 träumten alle Mädchen von Schwimmstar Johnny Weissmüller und seinen breiten Schultern. Nur Trudy nicht. Sie hatte selber Schultern wie Johnny Weissmüller und konnte dreimal so viel Erdbeer-Marshmallow-Eis verdrücken wie die Nachbarsmädchen in der Amsterdam Avenue in New York. Die 19-jährige Gertrude Ederle träumte von keinem Helden, sie wollte selbst eine Heldin sein: als erste Frau den Ärmelkanal durchschwimmen!
Bereits mit 12 Jahren hatte die Tochter deutscher Einwanderer Schwimmweltrekorde gebrochen und später olympisches Gold geholt. Die Presse erging sich in fast lüsternen Beschreibungen ihres kräftigen Körpers. In Amerika herrschte damals Alkoholverbot und Trudy entsprach zwar nicht unbedingt dem damaligen Frauenidealbild, war aber ein durch und durch gesundes Vorbild! Nicht wie diese sogenannten "Flappergirls", die in kurzen Röcken zu Jazz-Musik durch die Gegend hampelten und sich Absinth in ihre überschminkten Kussmäuler kippten.
Wann sie heiraten wolle, fragten Reporter. Aber Trudy wollte schwimmen - und Spaß haben. Und beides konnte man am französischen Kap Gris-Nez. Schwimmer aus Frankreich, Deutschland, Argentinien, England, Japan und Ägypten versuchten von dort aus durch den Ärmelkanal bis nach England zu schwimmen. Für eine Frau nicht zu schaffen, hieß es. Neben hohem Seegang und Kälte, waren es vor allem die brennenden Quallen, die viele Schwimmer zum Aufgeben zwangen.
Trudy dachte nicht ans Aufgeben. Und auch die Angst vor den immer wieder im Ärmelkanal vorkommenden Haien schluckte sie hinunter, stülpte sich ihre pinke Badekappe über und startete ihren ersten Versuch. Fotos zeigen ein bescheiden lächelndes Mädchen, mit kräftigen Beinen in einem Badeanzug, der mit seinem unvorteilhaften Schnitt auf heutigen Wühltischen seines Gleichen suchen würde. Es war noch nicht lange her, da hatten Frauen in langem Rock und Korsett gebadet.
Trudy wurde begleitet von zwei Beibooten mit Trainer, Freunden und einer Horde Journalisten. Um die Schwimmerin bei Laune zu halten, hatte man eine Jazz-Band angeheuert. Es waren immerhin die "Roaring Twenties"! Zwischendurch warf man Trudy Flaschen mit heißem Kakao ins Wasser, während ihre Begleiter auf den Booten seekrank über die Rehling spuckten.
Trudys erster Versuch scheiterte. Im Jahr darauf wagte sie es erneut. Diesmal mit roter Badekappe und ohne Jazzband - dafür mit Erfolg! Am 06. August 1926 durchschwamm Gertrude Ederle als erste Frau den Ärmelkanal! Innerhalb von 14 Stunden und 39 Minuten hatte sie die Strecke von Frankreich bis zur englischen Küste nonstop zurückgelegt. Schneller, als jeder Mann vor ihr! Sie wurde die erste weibliche Sportikone der Welt. Der Jubel in Europa und den USA war groß…
Leider war Trudys Hörvermögen seit einer Masernerkrankung geschwächt, und das lange Schwimmen im Kanal hatte sie gänzlich ertauben lassen. Und auch der Jubel ebbte ab. Es gab neue Rekordsportler und Kritiker, die Frauen nicht gern als Sportikonen sahen.
Ende der 20er hatte Trudy ihre erste und letzte Liebesbeziehung. Ob er denn wirklich mit einer tauben Frau leben wolle, fragte sie ihn. Er wollte nicht. Die Welt hatte das Interesse an der Rekordschwimmerin verloren - aber sie nicht an der Welt. Trudy betätigte sich mit Leidenschaft als Schwimmlehrerin für taube Kinder. Und bis zu ihrem Tod mit 98 Jahren erzählte sie gerne von jenem Tag in den "Goldenen Zwanzigern", als sie als erste Frau den Ärmelkanal bezwang.