Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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7. August 1908 Die "Venus von Willendorf" wird ausgegraben

Sensationell! Am 7. August 1908 fand man in der österreichischen Wachau die "Venus von Willendorf", eine Kultfigur aus der jüngeren Altsteinzeit. Doch wer war "man", der Finder? Sofort begann der Streit.

Stand: 07.08.2012 | Archiv

07.08.1908: Die "Venus von Willendorf" wird ausgegraben

07 August

Dienstag, 07. August 2012

Autor(in): Justina Schreiber

Sprecher(in): Krista Posch

Redaktion: Thomas Morawetz

25.000 Jahre lag sie friedlich im Löß-Boden der schönen Wachau, unbehelligt von menschlichen Machenschaften. Als jedoch am 7. August 1908 um zehn Uhr morgens ein Grabungshelfer die kleine Kalksteinfigur mit den vergleichsweise riesigen Hängebrüsten auf seiner Schaufel entdeckte, war es mit der Ruhe vorbei. Denn der neben ihm stehende Archäologe Josef Bayer ... oder war es sein Chef Josef Szombathy? ... wie auch immer: Einer der anwesenden Wissenschaftler erkannte die sensationelle Bedeutung des adipösen Miniaturweibes sofort. Eine Kultfigur aus prähistorischen Zeiten!

Streng hierarchisch gefunden

Ob die nur 11 Zentimeter große Dickmadam einst pornographischen Zwecken diente oder ob die steinzeitlichen Jäger und Sammlerinnen mit ihrer Hilfe irgendwelche  Fruchtbarkeitsriten veranstalteten: Das war nicht die Frage, über die sich die beteiligten Gelehrten erregten. Denn Josef Bayer, der aus der Umgebung des Fundortes Willendorf in Niederösterreich stammte, mochte ja durchaus den Anstoß für die Grabung gegeben haben. Auch mochten er und sein Kollege Hugo Obermaier die notwendigen bürokratischen Hürden genommen haben, um Schicht für Schicht vom Boden abtragen zu dürfen, bevor man hier die Trasse der Donauuferbahn verlegte. Ebenso mochten sie die Grabungsarbeiter tagtäglich angeleitet und überwacht haben. Aber Fakt war doch, dass ihr Chef Josef Szombathy, der Direktor der prähistorischen Sammlung des Wiener Hofmuseums offiziell, also auf dem Papier, die Untersuchungen vor Ort leitete. Er war am Morgen kurz vor dem Fund zufällig gerade angereist. Folglich schrieb man auf das Etui, in das man das vollbusige Dämchen zu ihrer eigenen Sicherheit steckte, die Namen der Herren Finder in streng hierarchischer Reihenfolge. Erstens Josef Szombathy, zweitens Josef Bayer und drittens Hugo Obermaier.

Aber damit herrschte keinesfalls Frieden. Nicht etwa, dass der Grabungsarbeiter, auf dessen Schaufel das wertvolle Stück gelegen war, Ansprüche erhoben hätte.

Nein, Josef Szombathy präsentierte es der Fachwelt dann nämlich - entgegen der Abmachung - im Alleingang, was vor allem Hugo Obermaier kränkte. Das Gerangel der einzelnen Parteien und ihrer Nachfahren um den angemessenen Ruhm führte dazu, dass 1932 die letzten noch lebenden Hilfskräfte gebeten wurden, ihre Erinnerungen zu Protokoll zu geben. Sie erklärten einstimmig, dass damals nur der junge einheimische Assistent Josef Bayer anwesend gewesen sei; er hätte ihnen auch gleich frei gegeben und im Wirtshaus Wein spendiert. Aber Pater semper incertus est. Der Vater ist immer ungewiss. Das wussten schon unsere Urahnen, die außer dem ursprünglich rot bemalten Figürchen noch allerlei ähnliche Mutterbildnisse hier und da und dort in die Erde gesteckt hatten.

Venus hinter Panzerglas

Das Objekt der Begierde jedoch, das bald im Tresor des naturhistorischen Museums landete, bekam die nicht-akademische Menschheit erst 90 Jahre später im Rahmen einer Ausstellung zu Gesicht. Und zwar durch sieben Zentimeter dicke Panzerglasscheiben. Was für eine verrückte Welt, in die die kleine Venus da hineingeplumpst war, als sie an jenem Augustmorgen die schöne Wachau nach 25.000 Jahren wiedersah! Wenn sie gekonnt hätte, hätte sie wahrscheinlich die Ärmchen von ihren vergleichsweise riesigen Brüsten genommen und über dem reich verzierten Köpfchen zusammengeschlagen.


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