8. Februar 1971 Haarnetzerlass bei der Bundeswehr gelockert
Auch er wollte dufte aussehen, der deutsche Soldat Anfang der 1970er-Jahre und ließ sich die Haare lang wachsen. Möglich machte das der Haarnetzerlass von Verteidigungsminister Helmut Schmidt. Autorin: Anja Mösing
08. Februar
Mittwoch, 08. Februar 2017
Autor(in): Anja Mösing
Sprecher(in): Johannes Hitzelberger
Illustration: Tobias Kubald
Redaktion: Frank Halbach
Dass Berichte über "Soldaten im Dienst" ein Gefühl von blanker Heiterkeit auslösen - ohne bitteren Beigeschmack - das ist selten. Extrem selten. Normalerweise hört man Berichte über Soldaten, wenn es um traurige Zahlen geht: Wie viele von ihnen sind umgekommen? Wo und auf welche Weise? Oder: Wie viele Soldaten sind zum Schutz, zur Befreiung oder anderen Wohltaten irgendwo einmarschiert?
Dufte sein dürfen
Aber in den wilden 60er- und 70er- Jahren des letzten Jahrhunderts, da gab es Momente, in denen konnte man Zeitungs-, Radio- und Fernsehberichte über deutsche Soldaten noch schmunzelnd genießen. Als es um Modefragen ging. Speziell um Haare.
Genau gesagt, um eine Haarmode, die aus der Jugendszene in die deutsche Bundeswehr hineinwallte: Ob Beatles-, Hippie- oder Rockerszene, wer "up to date" war und "dufte" aussehen wollte - das Adjektiv "cool" war damals noch nicht so gängig - der musste nach dem Zeitgeschmack lange Haare tragen. Sogar Elvis Presley, der als attraktiver amerikanischer Soldat in den 50er- Jahren noch eine Frisur trug, die den direkten Blick auf seine Ohren erlaubte, sogar er ließ seine Haare Anfang der 70er-Jahre über den Hemdkragen kringeln!
Kurz: Helmut Schmid, Verteidigungsminister unter Bundeskanzler Willy Brandt, sah sich veranlasst, der neuen Haarmode nachzugeben: Am 8. Februar 1971 trat sein "Haarnetz-Erlass" in Kraft. Wer in der Bundesrepublik Deutschland seinen Dienst als Bürger in Uniform antrat, der musste sich ab sofort nicht mehr die Haare kurz schneiden lassen. Es genügte, die Frisur mit einem Haarnetz im Zaum zu halten. Und auch das wurde von der Bundeswehr zur Verfügung gestellt. Ein herrlicher Skandal für die Medien! Genussvoll wurden uniformierte Männer mit Haarnetzen auf langhaarigen Häuptern präsentiert.
Gefahren für die Truppendisziplin
Aber auch ein herrliches Zeichen für harmlose Zeiten - zumindest bei deutschen Soldaten. In anderen, weniger harmlosen, wanderten die Moden umgekehrt: von der Armee hinaus ins zivile Leben. Zum Beispiel zu Zeiten Van Goghs. Da war das Absinth-Trinken nicht nur in Künstlerkreisen extrem populär, nachdem die Soldaten ihn in der französischen Armee zuvor befehlsmäßig gesoffen hatten. Bei der Besetzung Algeriens sollten die Männer nämlich durch die tägliche Ration grünen Absinths besser gegen Malaria und schlechtes Trinkwasser gewappnet sein. Für die Zivilisten wurde die Absinth-Mode dann so gefährlich, dass der Schnaps in vielen Ländern schlicht verboten wurde.
Verboten ist Zivilisten inzwischen auch die immer noch populäre Partydroge „Speed“. Dabei wurde ihr Ihr Wirkstoff Amphetamin schon im Zweiten Weltkrieg als Wachhalter und Aktivmacher geschätzt - von Befehlshabern für ihre Armeen. Die ließen Rationen zielgerichtet an ihre amerikanischen, japanischen und britischen Soldaten ausgeben.
Gegen das Suchtpotential dieser Moden sind lange Haare wirklich harmlos. Aber ausgerechnet die langen Haare konnte die Armee auf Dauer nicht verkraften. Schon nach 15 Monaten musste das Verteidigungsministerium den Haarnetz-Erlass zurücknehmen. Die Generäle befürchteten tatsächlich einen "Zusammenbruch der Truppendisziplin".
Haare dürfen bei männlichen Soldaten seitdem weder Augen noch Ohren berühren - und auch nicht den Kragen, von wegen Rauschebart. Eigentlich schade. Vielleicht könnten unsere Soldaten viel erfolgreicher in Friedensangelegenheiten verhandeln, wenn zum Beispiel ihre Bärte mindestens ebenso lang wären, wie die afghanischer Stammesfürsten.