09. Dezember 1904 Hans - ein rechnendes Pferd wird enttarnt
Der "Kluge Hans" war ein Pferd, das zu Kaisers Zeiten sogar die Psychologen ratlos machte. Es konnte offenbar rechnen und sogar Spielkarten erkennen. Doch am 9. Dezember 1904 stellte sich die Wahrheit über Hans heraus.
09. Dezember
Montag, 09. Dezember 2013
Autor(in): Xaver Frühbeis
Sprecher(in): Andreas Wimberger
Illustration: Angela Smets
Redaktion: Thomas Morawetz
Sie waren zu dreizehnt und ziemlich ratlos. Vor ihnen, auf dem Pflaster des engen Berliner Hinterhofs, stand der pensionierte Schullehrer Wilhelm von Osten, neben ihm: sein Pferd. Und alle sahen sie zu, was das Pferd machte, und keiner konnte es erklären. Das Pferd hieß Hans und war sehr berühmt. Man nannte es den "Klugen Hans". Von Osten hatte ihm beigebracht zu zählen, zu rechnen und zu buchstabieren. Der "Kluge Hans" konnte auch noch den rechten Wochentag angeben, von einer Taschenuhr die Zeit ablesen und die Bilder auf Spielkarten erkennen. Seine Antworten gab er mit dem Huf: Er klopfte so lange auf den Boden, bis das richtige Ergebnis erreicht war. Und er irrte sich selten.
Kein Betrug, aber was dann?
Jetzt, im September 1904, stand - auf ausdrücklichen Wunsch des Herrn von Osten - eine Expertenkommission vor dem "Klugen Hans", um ihn zu prüfen, allen voran Carl Stumpf, der Leiter des Psychologischen Instituts der Berliner Universität. Die Fachleute hatten eigentlich von Osten im Verdacht gehabt, irgendwelche Tricks einzusetzen. Aber sie fanden nichts. Selbst wenn sie von Osten vom Platz schickten, klopfte der "Kluge Hans" das korrekte Ergebnis. Und so kamen die Mitglieder der Kommission zu dem Schluss, dass von Osten zwar kein Betrüger sei, aber wie der "Kluge Hans" das machte, das konnten sie auch nicht erklären.
Dem Pferd auf die Schliche kam dann ein paar Wochen später der Psychologiestudent Oskar Pfungst, ein Mitarbeiter der Kommissionsleitung. Konnte es vielleicht sein, dachte sich Pfungst, dass der "Kluge Hans" intuitiv auf den Fragensteller reagierte? Dass er gelernt hatte, so lange mit dem Huf zu klopfen, bis eine winzige Veränderung in der Mimik seines Gegenübers ihm nahelegte, damit aufzuhören? Denn dann gab's die Belohnung. Pfungst testete den "Klugen Hans" nochmal und stellte fest: Genau das war's. Wenn das Pferd den Fragesteller nicht sehen konnte oder wenn der das Ergebnis nicht wusste, klopfte es an der rechten Antwort vorbei. Dagegen reichte schon eine um ein Fünftel Millimeter hochgezogene Augenbraue, damit der "Kluge Hans" wusste: das Ziel war erreicht.
Der "Kluge-Hans"-Effekt
Am 9. Dezember 1904 gaben die Psychologen Pfungst und Stumpf ihre abschließende Stellungnahme ab. Der "Kluge Hans" konnte weder rechnen noch buchstabieren. Dafür konnte er ausgezeichnet beobachten. Er hatte sich gewissermaßen selbst dressiert.
Wilhelm von Osten reagierte gekränkt auf die Entdeckung. Er experimentierte weiter mit dem Pferd, um die Wissenschaftler zu widerlegen, aber nun, da alle wussten, wie's ging, interessierte sich keiner mehr für ihn. Pfungsts Entdeckung jedoch war ein wichtiger Schritt für die Tierpsychologie und die Testforschung. Ein ernstzunehmender Versuchsleiter muss bis heute den "Klugen Hans"-Effekt ausschließen: dass nämlich seine eigene Erwartungshaltung das Experiment beeinflusst, so dass letzten Endes nur das rauskommt, was er gerne haben möchte. Und wenn's ein rechnendes Pferd ist.