12. Juli 1876 Alfred Brehm in Altai Staniza
Alfred Brehm hat Generationen von Lesern und Leserinnen begeistert, gerade weil er seinem Buch "Brehms Tierleben" die Objekte seiner Forschungen nicht neutral beschrieb. Am 12. Juli 1876 etwa bescheinigte er dem Kamel die Fähigkeit, "Menschen ohne Unterlass und in unglaublicher Weise zu ärgern".
12. Juli
Donnerstag, 12. Juli 2012
Autor(in): Susanne Tölke
Sprecher(in): Hans-Jürgen Stockerl
Redaktion: Bernhard Kastner
"Es lässt sich nicht verkennen, dass das Kamel wahrhaft überraschende Fähigkeiten besitzt, einen Menschen ohne Unterlass und in unglaublicher Weise zu ärgern." So gefühlvoll hat nur einer die Tiere geschildert - Alfred Brehm, der Pfarrerssohn aus Renthendorf in Thüringen. Er verletzte zwar die Grundregel jeder Wissenschaft, nämlich das Objekt seiner Forschungen neutral und ohne Emotionen zu beschreiben, aber dafür gelang es ihm, Generationen von Lesern für "Brehms Tierleben" zu begeistern. Das Kapitel über die Kamele schrieb er am 12. Juli 1876 in Altai Staniza, einem kleinen Ort zwischen Semipalatinsk und dem russischen Altaigebirge. Kamele hatte er zwar schon als junger Mann im Sudan kennengelernt, doch in der ersten Auflage des "Tierlebens" kamen sie noch nicht vor. Dafür würdigte er sie jetzt, als 47jähriger, für die geplante Neuauflage. Vielleicht hat er den Eigensinn der Trampeltiere auch erst am Beispiel der Kamele aus den Steppen Kasachstans so richtig erkannt.
"Dem Kamel gegenüber ist ein Ochse ein achtenswertes Geschöpf, ein Maultier ein gesittetes, ein Schaf ein kluges und ein Esel ein liebenswürdiges Tier. Dummheit und Bosheit sind gewöhnlich Gemeingut, wenn aber noch Feigheit, Starrköpfigkeit, Widerwille gegen alles Vernünftige, Gehässigkeit gegen den Pfleger und Wohltäter und noch hundert andere Untugenden hinzukommen, kann der Mensch, der mit solchem Vieh zu tun hat, schließlich rasend werden. Dies begreift man, nachdem man selbst vom Kamel abgeworfen, mit Füßen getreten, gebissen, in der Steppe verlassen und verhöhnt worden ist, nachdem einen das Tier tage- und wochenlang stündlich mit bewundernswerter Beharrlichkeit und Ausdauer geärgert, nachdem man alle Besserungs- und Zuchtmittel erschöpft hat."
Es ist die Vermenschlichung des Tieres, die die Lektüre von "Brehms Tierleben" so unterhaltsam macht, der zoologische Erkenntniswert steht erst an zweiter Stelle. Im Innern ist Alfred Brehm immer der streng erzogene Pfarrerssohn geblieben, und so manches Tier musste sich von ihm an bürgerlichen Moralvorstellungen messen lassen, zum Beispiel der Pavian: "Wir finden im Pavian das rüdeste, hässlichste und flegelhafteste Mitglied der ganzen Ordnung.
Wir sehen in ihm den Affen auf tiefster Stufe. Jede edlere Geistesfähigkeit ist hier in den scheußlichsten Leidenschaften untergegangen".
Wissenschaftlich war so ein Urteil natürlich nicht, aber Brehms Tierbeschreibungen sind bis heute anschaulich und spannend. Der Autor geizte nicht mit Werturteilen - dem Mops zum Beispiel warf er den Mangel an Schönheit vor: "Die Welt wird nichts verlieren, wenn dieses abscheuliche Tier den Weg allen Fleisches geht!"
Am Känguru beanstandete er die geringe Intelligenz: "Das Känguru hat einen ausgesprochen schwachen Kopf. Aber in freudige Erregung kann es geraten, wenn es nach lang andauernder Hirnarbeit zu der Erkenntnis kommt, dass es auch unter Kängurus zwei Geschlechter gibt." Alfred Brehm verteilte ganz ungeniert seine Zensuren und ließ auch den lieben Gott nicht ungeschoren, wenn er schrieb: "Ich muss gestehen, dass ich den Grund dafür, warum es die Wiederkäuer gibt, nicht kenne. Ich vermute aber, dass sie dazu da sind, um durch ihre beim Wiederkäuen sichtbar werdende Faulheit zum abschreckenden Beispiel zu werden."
Gefühle spielten immer mit bei seinen Tierbeschreibungen, und gerade das macht sein Standardwerk so einzigartig. "Nur das lebende Tier ist ein fühlendes Wesen", so belehrt er uns im Vorwort seiner Enzyklopädie, "das ausgestopfte bleibt doch immer nur ein Gegenstand."
Und tatsächlich war bis dahin die Zoologie eine weltabgeschiedene Wissenschaft gewesen, die sich nur mit Skeletten und einzelnen Knochen befasste. Alfred Brehm dagegen wollte die Seele des Tieres verstehen. Dass es da Grenzen gab, hat er selbst eingesehen. In seinen eigenen Worten hieß das: "Um zu berichten, wie einem Esel zumute ist, müsste man eigentlich selbst einer sein."