21. September 1984 Meerjungfrau wird zum Idol
Sie ist verführerisch - die Meerjungfrau. Ihr Fischschwanz bringt Männer auf Touren. Aber was fängt die Meerjungfrau ohne menschlichen Unterleib dann mit den erotisierten Männern an? Autorin: Prisca Straub
21. September
Mittwoch, 21. September 2016
Autor(in): Prisca Straub
Sprecher(in): Caroline Ebner
Illustration: Tobias Kubald
Redaktion: Frank Halbach
Halb Mensch - halb Fisch: Was bringt Männerfantasien eigentlich so auf Touren bei der Vorstellung einer Meerjungfrau?! Eine Zwitterexistenz, die plötzlich aus den Fluten auftaucht - nackt vom Gürtel aufwärts, pralle Brüste, langes Haar ...
Die Literaturgeschichte ist jedenfalls voll von weiblichen Mischwesen, die dem Wasser entsteigen und den Herren den Kopf verdrehen - von der Antike bis hin zum modernen Hollywood-Märchen. Auch Goethe hatte dem Lockruf aus der Tiefe nichts entgegenzusetzen, als er sich die erotischen Versuchungen eines arglosen Fischers ausmalte: "Halb zog sie ihn, halb sank er hin. Und ward nicht mehr gesehen."
Fischschwanz macht sexy
Ein riskanter Männertraum unter Wasser? Gewiss, aber nicht nur! Inzwischen begeistern sich auch immer mehr junge Mädchen an der hypnotischen Meerjungfrauen-Wirkung - und basteln mit Feuereifer an Schwanzflosse und Paillettenkostüm. "Mermaiding" heißt der neue Trend zum geschwänzten Dasein, Meerjungfrauen-Schwimmen. Als amerikanische Trendsportart ist "Mermaiding" inzwischen auch nach Europa übergeschwappt und begeistert die weiblichen Fans mit Fotoshootings unter Wasser, Schwimmkursen für jedes Niveau und hat Tipps parat für das problemlose Luftanhalten unter Wasser. Das Ziel: geheimnisvoll auftauchen, wieder verschwinden - und den Männern mit der Schwanzflosse die Sinne vernebeln.
Auslöser für die neue Modewelle war der US-amerikanische Spielfilm "Splash - Jungfrau am Haken". Mit Tom Hanks in der Hauptrolle erzählt er die tragikomische Geschichte eines kleinen Jungen, der von einer Nixe vor dem Ertrinken gerettet wird- und sich verliebt. Eine buchstäblich unmögliche Beziehung, denn es geht um zwei, die sich nicht kriegen können, weil sie zum Wasser und er zum Land gehört. Die Produktionsfirma, eine Walt Disney-Tochter, erfand dann doch noch eine filmreife Lösung und sogar ein Liebes-Happy End. Zu schön, um wahr zu sein!
"Ich will Meerjungfrau werden!"
Als "Splash" am 21. September 1984 in die Kinos kommt, springen unzählige kleine Zuschauerinnen umgehend in den Pool ihrer Eltern und experimentieren begeistert mit selbstgebastelter Schwimmflosse und wellenartigen Schwimmbewegungen. So damals auch die Australierin Hannah Fraser. Heute gilt sie als Star der Szene und lebt als erste professionelle Meerjungfrau vom "Mermaiding". Sie dreht Werbespots, Musikvideos - kann auf Kommando zwölf Meter tief tauchen und gute zwei Minuten lang ohne Luft auskommen.
Spricht man sie auf ihre Nixenausrüstung an, dann geht es schnell um Latex, Neopren, um Silikon - um viel nackte Haut und natürlich um Erotik. Aber auch Hannah Fraser kann dabei natürlich nicht über ein ganz pragmatisches Problem hinwegtäuschen: Über den Umstand nämlich, dass eine Meerjungfrau ein weibliches Wesen ist, dessen Leib in einem Fischschwanz endet. Und Liebe mit einer fischgeschwänzten Frau? Wie kann die Nixe Sex haben, wenn ihr Unterleib nicht menschlich ist? Kenner der Szene nennen dies augenzwinkernd das "Mermaid"-Problem, das Meerjungfrauen-Dilemma. Ein Dilemma freilich, dem sich die lockenden Verführerinnen selbst gar nicht stellen. Eine Meerjungfrau hält sich da lieber raus und zieht die Schwanzflosse hoch bis zum Bauchnabel. Eine Femme fatale - nicht Fisch - und nicht Fleisch.