22. September 1905 Die k.u.k.-Hofzensur verbietet die Aufführung der "Salome"
"Die Darstellung von Vorgängen, die in das Gebiet der Sexualpathologie gehören, eignet sich nicht für unsere Hofbühne", urteilte die Wiener Hofzensur 1905 über Richard Strauss‘ "Salome". Autor: Markus Vanhoefe
22. September
Freitag, 22. September 2017
Autor(in): Markus Vanhoefer
Sprecher(in): Krista Posch
Illustration: Tobias Kubald
Redaktion: Frank Halbach
"Lieber Freund! Es ist leider traurige Wahrheit...."
...man spürt die Resignation und Erschöpfung, die aus dem Brief sprechen, den Gustav Mahler seinem geschätzten Komponisten-Kollegen Richard Strauss schreibt. Mahler hat gekämpft, argumentiert, seine ganze Autorität als Direktor der Wiener Hofoper in die Waagschale gelegt. Umsonst. Sein unermüdliches Plädoyer für "das Werk eines Genies", für eine Oper, die bei ihrer Dresdner Uraufführung mit 36 Vorhängen gefeiert worden war, ist beim "literarischen Büro" der österreichisch-ungarische Monarchie auf taube Ohren gestoßen.
Pervers und sittlich verletzend
Am 22. September 1905 fällt Wiens oberster Theaterzensor eine Entscheidung: Völlig unmoralisch und deshalb in jeder Hinsicht ungeeignet. Richard Strauss‘ "Salome" darf in der Donaumetropole nicht ins Rampenlicht treten.
"Abgesehen davon, dass die Darstellung von Vorgängen aus dem Neuen Testament insbesondere auf der Hofbühne grundsätzlich Bedenken erregt, wirkt die Vorführung einer perversen Sinnlichkeit, wie sie in der Figur der Salome verkörpert ist, sittlich verletzend. Ich möchte mich deshalb aus religiösen und sittlichen Gründen gegen die Zulassung des vorliegenden Operntextes aussprechen".
Eines muss man den Wiener Zensoren zugute halten, sie stehen in ihrer empörten Ablehnung nicht alleine. Richard Strauss‘ "Salome" nach einem Theaterstück von Oscar Wilde mag eine künstlerische Sensation sein, dennoch wird die jüdische Prinzessin, die "Johannes, dem Täufer" eindeutige Avancen macht und den unwilligen Propheten köpfen lässt, aus vielen renommierten Opernhäusern verbannt.
In New York und Chicago verschwindet die laszive Oper nach nur einer Aufführung vom Programm. Auf Druck reicher, konservativer Geldgeber. Und in London wird Strauss‘ Original auf Anordnung der Zensurbehörde inhaltlich "verstümmelt".
Mit Argumenten wie diesen: "Halb biblisch, halb pornographisch. Man stelle sich vor, wie das durchschnittliche britische Publikum darauf reagiert".
Sex sells
Salome, die Männerfresserin, die Inkarnation einer mysteriösen, weiblichen Lust, der Inbegriff einer dekadenten Verbindung von Liebe und Tod; in der erotisch aufgeheizten Atmosphäre des Fin de Siècle ist das der Stoff, aus dem Skandale gewebt werden.
Sex sells- trotz – oder gerade aufgrund all der Entrüstung und Verbotsforderungen- wird "Salome" ein Welterfolg - und macht ihren Schöpfer Richard Strauss zum wohlhabenden Mann.
Für Strauss‘ Fürsprecher Gustav Mahler bringt sie dagegen bittere Konsequenzen mit sich. Denn die Zensur des epochalen Werks ist der Anfang vom Ende seiner Amtszeit als Wiener Hofoperndirektor. Zwar hat es bereits in den Vorjahren Konflikte gegeben, jetzt aber ist das Verhältnis zwischen Mahler und seinen Vorgesetzten endgültig zerrüttet. Im Herbst 1907 wird Mahler, der auch als Dirigent und Komponist eine internationale Größe ist, auf eine Vertragsverlängerung verzichten. Er scheidet, was für eine Demütigung, ohne offizielle Verabschiedung aus Amt und Würden.
Das Wiener Publikum wird bis zum Jahr 1918 warten müssen, bis es zum ersten Mal den legendären Schleiertanz der "Salome" auf der Opernbühne erleben kann.