23. Juli 1957 Moorleiche Rosalinde gefunden
Dass Frauen geheimnisvoll sind und das über den Tod hinaus, ist altbekannt. Dennoch versucht die Wissenschaft mit modernsten Methoden immer wieder, letzte Schleier zu lüften. Und scheitert immer wieder - auch Moorleiche Rosalinde gibt nicht alles preis.
23. Juli
Mittwoch, 23. Juli 2014
Autor(in): Prisca Straub
Sprecher(in): Ilse Neubauer
Illustration: Angela Smets
Redaktion: Susi Weichselbaumer
Eine Schönheit ist die Frau zu Lebzeiten gewiss nicht gewesen: Ihr Oberkiefer ragte ganze vier Zentimeter über den Unterkiefer hinaus - sie hatte also einen enormen Überbiss. Und so richtig schön ist sie auch heute nicht anzusehen: Gesicht und Oberarme sind skelettiert, die Haut ist dunkelbraun verfärbt. Die Frau von Peiting/Hohenpeißenberg - kurz Rosalinde - ist eine typische Moorleiche. Am 23. Juli 1957 wurde sie aus dem oberbayerischen Torf gebaggert - und gibt seitdem Anlass für wilde Spekulationen.
Als die Baggerschaufel knirschend auf ein Hindernis stößt und festhängt, sind die Moorarbeiter plötzlich hellwach: Der Sommertag ist nieselig und kalt. Doch jetzt ragt da eine Holzkiste aus der Erde: Wenn das da in einem knappen Meter Tiefe nicht aussieht wie ein verborgener Schatz! Doch als die Männer durch den geborstenen Deckel spähen, realisieren sie, worauf sie gestoßen sind: kein Schatz, sondern ein Sarg - und ein toter Mensch. Ein seit langem toter Mensch.
Eine sehr alte tote Dame
Die unbekannte Leiche von Peiting/ Hohenpeißenberg hat die Menschen seither erschreckt, aber auch fasziniert, denn ihr Erhaltungszustand ist phänomenal: Rumpf und Beine haben die Zeiten unbeschadet überdauert. Eine Haut wie Leder. Das Moor hat die Frau mit den sorgsam über der Brust verschränkten Armen für Jahrhunderte luftdicht abgeschlossen und fast alle Verwesungsprozesse gestoppt. Mumienforscher versuchen, den alten Körper mit modernen wissenschaftlichen Methoden zum Sprechen zu bringen: Sie röntgen und vermessen die von Moorsäure zerfressenen Knochen. Sie ziehen Rosalinde einige Zähne und analysieren ihr Haar. Sie nehmen den Mageninhalt unter die Lupe und rekonstruieren aus Stoffresten ihr Sterbekleid.
Moppelige Moorleiche?
Wer also war Rosalinde? Bayerns besterhaltene Moorleiche hat uns viel verraten, aber längst nicht alles preisgegeben: Wir wissen, dass ihr Holzsarg vor gut 600 Jahren im oberbayerischen Schwarzlaichmoor versenkt wurde. Und dass sie bei ihrem Tod etwa 25 Jahre alt war. Sie trug ein Kleid aus heller Schafwolle und hatte bestickte Bänder im Haar. Ungewöhnlich ist ihr guter Ernährungszustand. Rosalinde war rundlich - sie hatte regelrechte Speckrollen: Die dunkle Haut an Bauch und Oberschenkeln ist noch heute in wohlgenährte Falten gelegt. Äußerst ungewöhnlich für das von Hungersnöten geplagte Mittelalter.
Doch warum Rosalinde nicht auf dem Bestattungsplatz, sondern ein wenig abseits am Wegesrand, im Moor verscharrt wurde? War sie eine Reisende? Möglicherweise sogar eine Fremde? Oder wurde sie stillschweigend beseitigt, vielleicht nach der Geburt eines unehelichen Kindes? Immerhin: Eine rechtsmedizinische Untersuchung konnte keine Schwangerschaft nachweisen. Rosalinde behält ihr letztes Geheimnis für sich.
In der Archäologischen Staatssammlung in München schätzt man die Unbekannte aus dem Moor übrigens auch wegen eines ganz besonderen Accessoires: ihrer Schuhe. Rosalinde trug kniehohe, rotbraune Lederstiefel von feinster Qualität. Schuhgröße 36. Sie sind komplett erhalten - und stünden sie heute im Schaufenster eines Schuhgeschäfts, kein Mensch würde erraten, welche Vorbesitzerin mit ihnen schon durchs Leben gelaufen ist.