24. Mai 1876 Ende der Challenger-Expedition
Sie konnte als erstes Schiff einen wissenschaftlichen Blick in die Tiefsee werfen: die britische Dampfkorvette H.M.S Challenger. Dreieinhalb Jahre dauerte die Expedition. Autorin: Sarah Kosh-Amoz
24. Mai
Mittwoch, 24. Mai 2017
Autor(in): Sarah Kosh-Amoz
Sprecher(in): Johannes Hitzelberger
Illustration: Tobias Kubald
Redaktion: Frank Halbach
Die Tiefen des Meeres: seit jeher ein unergründliches Mysterium, das die Menschen fasziniert und anzieht. Schon der griechische Philosoph Aristoteles beschreibt das Prinzip einer Taucherglocke, um damit tiefer in die gewaltigen Abgründe des Meeres vorstoßen zu können. Auch Universalgenie Leonardo da Vinci tüftelt: Er entwirft ein Tauchboot. Jahrzehnte später bindet der portugiesische Weltumsegler Ferdinand Magellan eine Kanonenkugel an ein Seil von 700 Metern Länge. Damit will er die Tiefsee ausloten. Doch weil die Kugel den Grund nicht erreicht, folgert Magellan, die Meere seien unendlich tief.
Seemannsgarn und Hypothesen
So weiß bis weit ins 19. Jahrhundert hinein niemand so recht, was das Reich der Tiefe birgt. Von einem rätselhaften Unterwasserschleim namens Bathybius, der die Quelle allen Lebens sein könnte, ist die Rede. Die wildesten Spekulationen kursieren: In Hafenspelunken spinnen die Matrosen ihr Seemannsgarn und fürchten sich vor Ungeheuern, die ganze Segelschiffe samt Besatzung verschlingen oder in den Abgrund hinab reißen. Die Gelehrten wiederum sind sich uneins, ob es überhaupt Leben jenseits einer Tiefe von 500 Meter geben kann.
Behauptungen, Märchen, Hypothesen: Wem soll man also glauben? Ein unerträglicher Zustand, findet die Royal Society in London und schickt 1872 die Dampfkorvette H.M.S. Challenger mit über 250 Besatzungsmitgliedern auf Erkundungsfahrt. Dreieinhalb Jahre wird die Expedition in die Weltmeere dauern. Es ist die Geburtsstunde der modernen Ozeanographie und Tiefseeforschung.
Noch keine Expedition ist zur Erforschung der Meere so gut ausgerüstet gewesen: mit Fallen, Harpunen, Tiefsee- und Walfischleinen; außerdem mit 40 gigantischen Netzen, die mit Dampfkraft aufgezogen werden und aus den tiefsten Stellen des Meeres Lebewesen bergen, wie Kielschnecken, Röhrenquallen und Medusen.
Insgesamt legt die Challenger einen Weg von über 120.000 Kilometer zurück: England - Atlantik - Karibik - Antarktis.
Von dort aus geht es nach Australien und wieder zurück durch die Magellanstraße in den englischen Heimathafen Portsmouth. Dort endet die Expedition am 24. Mai 1876.
Terra incognita
Die Fundstücke und Ergebnisse der dreieinhalbjährigen Abenteuerreise sind spektakulär: Über 10.000 Tiere und Pflanzen aus aller Welt! Mehr als viereinhalbtausend neue, bisher vollkommen unbekannte Arten! Das Wissen über die Tiefsee wächst - die Mythen werden weniger. Die Meereskundler der H.M.S. Challenger messen auch viele hundert Male die Wassertemperatur und loten die Meerestiefen aus, wobei sie vor der Südküste Japans mit 8.183 Metern die damals tiefste Stelle der Weltmeere entdecken. Erst Jahrzehnte später finden Forscher heraus, dass der Marianengraben im westlichen Pazifik mit über 11.000 Meter noch tiefer ist. Und der ominöse Urschleim, die angebliche Quelle allen Lebens? Ihn gibt es in Wahrheit gar nicht.
Das Meer hütet trotzdem noch genügend Geheimnisse - Terra incognita! Wissenschaftler gehen den Untiefen der Ozeane weiterhin auf den Grund, fischen zwar oftmals im Trüben, können aber auch - wie es die Challenger-Expedition bewiesen hat - Licht ins Dunkel bringen.