27. September 1962 Rachel Carsons "Der stumme Frühling"
Am 27. September 1962 veröffentlicht Rachel Carson ihr Buch "Der stumme Frühling" und beschert damit der Öffentlichkeit einen neuen Typ Sachbuch. "Die Bibel der Umweltbewegung" sorgt auch für politischen Zündstoff.
27. September
Freitag, 27. September 2013
Autor(in): Christiane Neukirch
Sprecher(in): Hans-Jürgen Stockerl
Illustration: Angela Smets
Redaktion: Thomas Morawetz
Am 27. September 1962, eine Woche bevor James Bond erstmals auf der Kinoleinwand mit viel Gewese die Welt vor der Vernichtung bewahrte, erschien in den USA ein Buch. Ein leises Buch, ohne Spezialeffekte; geschrieben von einer Frau, für die lautes Auftreten ein Stilbruch gewesen wäre: Rachel Carson. Es beginnt wie ein Märchen, in einem idyllischen Ort irgendwo in Amerika, wo alle Geschöpfe in Einklang mit der Natur zu leben scheinen; ein Ort, umgeben von blühenden Wiesen, goldenen Kornfeldern und Bäumen, die im Frühling Teppiche weißer Blüten streuen ...
Eine "seltsame Seuche"
40.000 Vorbestellungen gab es, und quasi über Nacht war das Buch ein Bestseller. Nicht, weil es Märchen erzählte, sondern weil es etwas aussprach, das die Ängste vieler Menschen berührte. Das Märchenidyll des Anfangs währt nämlich nicht lange. Unheil überzieht den Ort. Eine "seltsame Seuche" rafft Vögel und Bienen dahin, Hoftiere verenden, Pflanzen verdorren. Die Bewohner sind ratlos. Lange brauchen sie, um zu begreifen, dass sie selbst schuld sind am Sterben und Verstummen der Natur.
"Der stumme Frühling" heißt das Werk, in dem die Autorin in düsteren Farben ausmalt, wie das Insektenvernichtungsmittel DDT Mensch und Natur belasten kann. Die Chemikalie wurde seit den 1940er-Jahren nicht nur in den USA verschwenderisch auf die Felder verteilt. In und nach dem Krieg bepuderte man sogar Menschen damit, um sie von Läusen zu befreien. Doch die Insekten sind nur das unterste Glied der Nahrungskette. Und jedes Insekt, das gefressen wird, jedes Korn, das gepickt oder verspeist wird, landet im Körper eines Lebewesens. Und damit das Gift.
Keim für ein wachsendes Umweltbewusstsein
"Alarm-Literatur" wie diese war schon damals nicht neu. Doch Rachel Carson traf ins Schwarze: Sie traf den Nerv der Zeit. Nach dem 2. Weltkrieg hielt sich im Westen wie im Osten ein unerschütterlicher Glaube an Wissenschaft und Technik.
Doch die Menschheit war bis Anfang der Sechzigerjahre auch bereits Zeuge geworden, wie verheerend die Früchte der Forschung wirken können. Das nukleare Wettrüsten machte Angst. Die Kubakrise im Oktober 1962 sollte den Menschen zeigen, wie dicht die Welt am Abgrund der atomaren Vernichtung stand. Die Öffentlichkeit war offen für Fragen und kritische Töne. Und Rachel Carson verstand es, mit dieser Öffentlichkeit auf Augenhöhe zu sprechen. Ihr Buch war keine Abhandlung im Fachjargon, sondern ein Meisterwerk, das wissenschaftliche Genauigkeit, dramaturgisches Geschick und verständliche Sprache zu einem neuen Typ von Sachbuch verband.
Die Reaktionen waren erstaunlich heftig - und bis auf wenige Kritiker aus der Chemiebranche erstaunlich einhellig - positiv. Bald war die Debatte auch auf politischer Ebene entbrannt. 1969 leitete US-Präsident Nixon das Verbot von DDT ein, `72 trat es in Kraft. Kurz darauf verbot auch Europa den Einsatz, seit 2004 ist das Mittel weltweit geächtet.
Carson hatte den Keim gelegt für ein wachsendes Umweltbewusstsein. Ihr Beitrag zur Rettung der Welt ist längst nicht so pompös wie der von James Bond. Doch ihr stilles Vermächtnis wirkt bis heute ungebrochen nach. Ihr Buch gilt als die "Bibel der Umweltbewegung". Und das "Time Magazine" wählte Carson unter die 100 bedeutendsten Persönlichkeiten des 20. Jahrhunderts.