Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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28. September 1891 Herman Melville gestorben

Sein literarisches Element war die Hochsee samt Moby Dick. Doch seinen berühmtesten Satz schrieb Herman Melville dem stillen New Yorker Bartleby auf den Leib, eine Absage, die weltberühmt wurde. Autor: Rainer Nothaft

Stand: 28.09.2015 | Archiv

28.09.1891: Herman Melville gestorben

28 September

Montag, 28. September 2015

Autor(in): Rainer Nothaft

Sprecher(in): Ilse Neubauer

Illustration: Tobias Kubald

Redaktion: Susi Weichselbaumer

Es ist Herbst geworden und Gedanken an gutes Essen sind nicht weit. Doch Bartleby, was macht Bartleby? Bartleby lebt von Ingwernüssen, nichts anderem als Ingwernüssen. Das ist keine ausgewogene Ernährung. Doch was an Bartleby ist schon “ausgewogen“? Bestimmt nicht seine Beiträge zur Konversation. Hier ist er von größter Knappheit. Was er zu sagen hat, sagt er mit einem einzigen Satz, der aus fünf Wörtern besteht.

Auf den Punkt

Bartleby ist Schreiber bei einem Rechtsanwalt in der Wall Street, ein so genannter scrivener, wie es im Englischen heißt, der Verträge kopiert und zu seinen Aufgaben gehört auch das Korrekturlesen. Doch als der Rechtsanwalt just darum mehr bittet, als dass er es befiehlt - da spricht Bartleby seinen Satz, den er später mit kleineren Abwandlungen noch öfter wiederholen wird. Er sagt: I WOULD PREFER NOT TO. I would prefer not to - zu übersetzen mit - ja, wie am besten übersetzt man diese, wie gesagt wurde, “einzigartige Ablehnung“, die so rätselhaft Härte in der Sache mit Höflichkeit im Ton verbindet? Vielleicht mit: Ich würde es vorziehen, dem nicht zu entsprechen, oder: Ich würde es bevorzugen, das nun nicht zu tun? Doch wie auch immer: I would prefer not to prägt, durchdringt und, wohl auch das, verzaubert Herman Melvilles oft gedeutete, inzwischen auch verfilmte Erzählung Bartleby, The Scrivener, A Story of Wall-Street, 1853 erschienen. Und ist Moby-Dick Herman Melvilles berühmtester Roman, so ist Bartlebys vornehm-eigensinnige Absage sein berühmtester Satz.

Eigentlich alter Seebär

Nur, wie kommt Melville auf eine Kanzlei in der Wall Street als Ort und auf das Schicksal eines Schreibers als Thema seiner Erzählung?

Ist Melville nicht der berühmte Seefahrer, von Thomas Mann bewundert, weil er “Bescheid weiß auf einem Segeldreidecker der britischen Kriegsmarine?“ Und hat Melville nicht seine Erfahrungen gesammelt auf Fregatten der United States Navy? Auf dem tückischen Nordatlantik und am noch tückischeren Kap Hoorn? Und seine großen Romane, spiegeln sie nicht das Leben der Matrosen auf See, besonders in White Jacket aus dem Jahr 1850?

Alles Fragen, nur mit einem seemännischen “Ay, ay, Sir!“ zu beantworten. Trotzdem: Zuerst und zuletzt und dazwischen war Herman Melville ein New Yorker. Hier kam er 1819 auf die Welt; hier, bei der New York State Bank, hatte er seinen ersten Job; hier, Wall Street 10, haben zwei seiner Brüder als Anwälte gearbeitet - und er selbst, weiter unten am Hafen, 20 Jahre lang als hoher Zollbeamter; und in New York auch ist Herman Melville am 28. September 1891 gestorben und auf dem Woodland Cemetery in der Bronx begraben worden.

Nur angemessen und natürlich dass es eine New Yorkerin, die berühmte Kritikerin Pauline Kael war, die in der Zeitschrift The New Yorker betont hat, wie weit die Gestalt von Bartleby ihrer Zeit voraus war. In Pauline Kaels Worten: “Es ist schwer zu fassen, dass so eigentümlich Modernes im Lebensumkreis des mittleren 19. Jahrhunderts geschaffen wurde.“

Doch Bartleby als Beispiel moderner Entfremdung - das ist nur eineDeutung. Seiner im Verlauf der Erzählung immer stiller und milder werdenden, sich immer mehr, und am Ende ganz aus der Welt zurückziehenden Gestalt - Bartleby sind viele hoch gescheite und tief gründliche Studien gewidmet worden. Sollte ich mit einem kleinen Überblick dazu enden? Aber nur der Kürze der Zeit wegen: I would prefer not to.


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