29. September 1932 Lunch atop a Skyscraper
Sie ist eine der berühmtesten Fotografien der Welt: Elf Bauarbeiter machen Mittagspause - auf einem Stahlträger in 260 Metern Höhe über der Skyline von Manhattan. Autorin: Prisca Straub
29. September
Freitag, 29. September 2017
Autor(in): Prisca Straub
Sprecher(in): Krista Posch
Illustration: Tobias Kubald
Redaktion: Frank Halbach
Es ist ein warmer Herbsttag in New York City, Zeit für die Mittagspause. Auf den Baustellen hoch über der Stadt legen die Männer ihre Werkzeuge aus der Hand - auch auf dem fast fertigen Rohbau des Rockefeller Center, 69. Etage: Elf verschwitzte Arbeiter nehmen Platz - in schwindelerregender Höhe auf einem schmalen, scheinbar frei schwebenden Stahlträger. Sie tragen dicke Arbeitshandschuhe und Schiebermützen, sie plaudern, sie rauchen, sie öffnen ihre Lunch-Pakete. Die Füße baumeln beiläufig in 260 Meter Höhe über dem Straßenniveau. Doch die abgrundtiefe Kluft ist keinem von ihnen einen Blick wert. Im Hintergrund: die Skyline Manhattans, der Central Park, der Hudson River. Diese halsbrecherische Verschnaufpause gehört offenbar zu den normalsten Dingen der Welt.
Echt echt!
Lange Zeit wurde über das ungezwungene Schwarzweiß-Foto gemunkelt: "Lunch atop a Skyscraper", geschossen am 29. September 1932, könne nichts anderes sein als eine Fotomontage. "Mittagspause auf einem Wolkenkratzer"? Elf junge Männer in billigen Lederschühchen, ohne Helm - vollkommen ungesichert? Ausgeschlossen! Heute weiß man: Die Aufnahme ist echt! Denn erstens: Die original-belichtete Glasplatte ist zwar beschädigt, aber erhalten - und zweitens: Es existieren eine ganze Reihe ähnlicher Aufnahmen aus derselben Serie: Arbeiter in allen Variationen, die sich an Stahlseilen über gähnende Abgründe hangeln. Auch die drei Fotografen, bei denen man das Projekt in Auftrag gab, sind abgelichtet - in perfekt sitzenden Anzügen, die Foto-Ausrüstung auf den Rücken geschnallt. Kurzum: "Mittagspause auf einem Wolkenkratzer" ist mit Sicherheit kein Fake. Nur die Beiläufigkeit der Situation ist gestellt. Eine arrangierte Mittagspause also, eine Auftragsarbeit. Für Publicity-Zwecke.
Ein abgestürzter Arbeiter pro zehn Stockwerke
Das Foto erscheint wenige Tage später in der Sonntagsausgabe der New York Herald Tribune - und die PR-Aktion ist wohl platziert: Rockefeller Plaza Nummer 30, das heutige Comcast Building, ein ambitioniertes Gebäude aus Stahl, Glas und Granit, das Symbol für den beispiellosen Bauboom, der die Stadt in schwindelerregende Höhen wachsen lässt. Hier wird an der Zukunft gebaut!
Die Arbeiter werden entsprechend gut bezahlt. Das Schweißen in mörderischer Höhe ist ein begehrter Job, gerade für Einwanderer, die jetzt reichlich in die Stadt drängen. Das Risiko ist Teil des Geschäfts - pro zehn Stockwerke ist ein abgestürzter Arbeiter in die Bilanz einkalkuliert.
Um die Identitäten der Männer auf dem Stahlträger zu ermitteln, hat man übrigens jahrzehntelang so einiges unternommen. Unzählige Nachkommen meinen nämlich, auf der beliebten Fotografie einen Onkel, einen Opa, einen Vater zu erkennen. Unstrittig ist: Die meisten von ihnen kommen aus Irland. Sie haben die verregneten Kartoffeläcker ihrer Heimat hinter sich gelassen, jetzt bauen sie die Skyline New Yorks. Was wohl aus ihnen geworden ist? Zumindest unter den Männern, die auf dem Foto zweifelsfrei wiedererkannt wurden, scheint keiner abgestürzt zu sein. Gut zu wissen, wenn man das berühmte Bild zu Hause als Poster hängen hat.