23. Oktober 2015 Ältester Baum Großbritanniens gestresst
Die Eibe, die im Kirchhof von Fortingall in Schottland steht, gilt als ältester Baum Großbritanniens. Ihr Alter wird auf 5.000 Jahre geschätzt. Doch ganz plötzlich versetzt der bisher männliche Baum die Besucher in Erstaunen - mit einem weiblichen Ast. Autorin: Prisca Straub
23. Oktober
Mittwoch, 23. Oktober 2024
Autor(in): Priscas Straub
Sprecher(in): Caroline Ebner
Redaktion: Frank Halbach
Der uralte Baum krümmt sich im Windschutz eines kleinen Kirchhofs: koboldhaft und mit verdrehten Armen. Kein hochgewachsener Riese - der berühmte Eiben-Baum wuchert buschartig vor sich hin. Seit Urzeiten wurzelt er an einem Steilhang im schottischen Dörfchen Fortingall. So lange wie die Highlands von Menschen besiedelt sind. Er gilt als ältester Baum Großbritanniens.
Friedhofs-Eibe von Fortingall, Schottland
Um die 5.000 Jahre könnte dieses männliche Exemplar von Taxus baccata bereits auf dem Buckel haben. Ganz einig sind sich die Botaniker zwar nicht, doch die Fortingall-Eibe müsste Pikten, Kelten und Wikinger kommen - und auch wieder gehen gesehen haben. Sie alle haben die Aura aus dunklem Hartholz und immergrünen Nadeln verehrt: eine scheinbar unsterbliche Baumgottheit. Legenden zumindest weisen darauf hin.
Dass selbst Baum-Forscher das Alter der Fortingall-Eibe nicht treffsicher bestimmen können, liegt an einer botanischen Besonderheit: Europäische Eiben werden im Alter fast immer hohl - und bekommen dann kurz vor dem Zusammenbruch verwirrende Wachstumsschübe. Der Baum geht in die Breite: An herabhängenden Ästen entstehen Triebe. Sie wurzeln, sobald sie den Boden erreichen - und durch das brüchige Alt-Holz schieben sich bald frische Schösslinge. - Zählbare Jahresringe? Fehlanzeige!
Rezept für Langlebigkeit
Mitte des 18. Jahrhunderts hatte die Fortingall-Eibe einen Umfang von rund 16 Metern erreicht: 20 Schotten waren nötig, um ihren Stamm zu umfassen! Doch dann machten sich die ersten Souvenir-Jäger an der gewaltigen Kreatur zu schaffen. Am Steilhang von Fortingall war inzwischen ein christlicher Friedhof entstanden und man gab den Verstorbenen gerne geräuberte Eiben-Zweige mit ins Grab - als immergrünes Symbol der Unsterblichkeit. Der Stamm wiederum wurde mit Äxten traktiert: Religiöses Zubehör aus Eiben-Holz war begehrt. Der Friedhofs-Baum sah schließlich aus wie ein lässig hingeworfenes Mikado-Spiel.
Heute lebt die einstige Baumgottheit zurückgezogen, geschützt hinter hohen Mauern. Ein großes Bündel geisterhaft ineinander verschlungener Stämme. Doch das prähistorische Geschöpf kommt einfach nicht zur Ruhe. Die verstörende Meldung kam am 23. Oktober 2015: Ein schottischer Botaniker hatte drei leuchtend rote, becherförmige Samenmäntel in der Krone entdeckt. Eindeutig weiblich! Hatte der älteste Baum Großbritanniens plötzlich das Geschlecht gewechselt?
Nein, sagen Baumexperten: Die Fortingall-Eibe leidet unter den vielen Touristen. Wie im Zoo müssen die Besucher nämlich durch ein Gitter spähen. Und um gute Selfis zu machen, klettern sie oft über den Zaun - und dem Baum auf die Pelle. Manchmal sogar bis in die Krone. Offenbar reagiere die Eibe inzwischen mit Hormonstörungen, bei Stress könne sowas durchaus passieren. Man hat sie unter Beobachtung gestellt. Die leuchtendroten Samen aber vorsichtshalber aufbewahrt. Sie sind jetzt Teil eines Erhaltungsprogramms. So könnte der älteste Baum Großbritanniens in die nächste Runde Ewigkeit gehen.