9. September 1854 Weltweit einziger gusseiserner Aussichtsturm in Löbau eröffnet
Paris hat einen Eiffelturm und Löbau in Sachsen ein Aussichtsturm, der durchaus ähnlich ist. Die Idee dazu hat ein Bäckermeister. Der kann gar nicht fassen, dass der Landesvater derart begeistert von seinem Projektvorschlag ist, dass er höher, weiter, teurer bauen darf. Autor: Hartmut E. Lange
09. September
Montag, 09. September 2024
Autor(in): Hartmut E. Lange
Sprecher(in): Caroline Ebner
Redaktion: Susi Weichselbaumer
Im Mai 1852 wird auf dem Czorneboh ein Aussichtsturm eröffnet. Der Berg mit dem sorbischen Namen liegt auf halber Strecke zwischen Bautzen und Löbau. Ein wenig neidisch stecken die Löbauer Ratsherren die Köpfe zusammen: Haben wir sowas nicht auch geplant, auf unserem 448 Meter hohen Hausberg?
Haben sie, doch das Thema war immer wieder durch Wichtigeres verdrängt worden. Es existieren sogar Baupläne, für eine Variante aus Stein, und eine aus Eisen. Die Begeisterung für das eigene Turmprojekt ist nun in dem Lausitzer Städtchen erneut entfacht. Doch eine wichtige Frage bremst: Wer soll das bezahlen? Wir jedenfalls nicht, versichern die Stadträte.
Bäckermeister und Turmbauer
Glücklicherweise gibt es diesen Friedrich August Bretschneider, von dem es in Löbau heißt, er sei ein Willensmensch sondergleichen. Und offenbar kennt sich der angesehene Bäckermeister mit Türmen aus. Seit die Eisenbahnlinie Dresden – Görlitz eröffnet ist, wäre der Technikbegeisterte gern dreimal täglich am Bahnhof, um die schnaufenden Dampfmaschinen auf Rädern zu bestaunen. Geht aber nicht, er muss sich um seine Bäckerei kümmern. Also stellt er im Garten einen 17 Meter hohen Baumstamm auf, setzt eine kleine Laube obendrauf, und fertig ist das Eisenbahnobservatorium. In Arbeitspausen klettert er geschwind die 100-sprossige Leiter hinauf, um zu sehen, welche Lokomotive gerade in Löbau einfährt.
Für seinen Aussichtsturm auf dem Löbauer Berg erhofft sich Bretschneider Unterstützung vom Landesherrn. Vielleicht übernimmt der Sachsenkönig Friedrich August II. einen Teil der 25 000 Taler Baukosten?
Aus Dresden trifft ein Brief mit königlichem Siegel und hoffnungsvollem Inhalt ein: Majestät wollen der Turmeinweihung beiwohnen.
Im Januar 1854 beginnt das Projekt mit einer Kinderkarawane im Schnee: 80 turmbegeisterte Mädchen und Jungen ziehen auf ihren Schlitten Ziegelsteine fürs Fundament auf den Löbauer Berg hinauf. Pro Stein gibt’s 1 Pfennig, dazu gratis Kaffee, Butterbrot und Würstchen.
Nach englischem Vorbild
Der Bauherr entscheidet sich für Gusseisen. Technisches Vorbild ist der Kristallpalst in London, der zur Weltausstellung 1851 in Modulbauweise errichtet wurde. Auch der Löbauer Turm besteht aus vorgefertigten Einzelteilen, über 1000 Stück werden zusammengesteckt und mit Blei vergossen. Das Bauwerk ist eine technische Meisterleistung: 28 Meter hoch,
4 Meter Durchmesser. Eine Wendeltreppe aus 118 Stufen führt zu den drei Aussichtsgalerien. Trotz seiner 70 Tonnen Gesamtgewicht erscheint der Gusseiserne geradezu leicht. Dafür sorgt die filigrane, netzartige Gestaltung der Außenwände, mit byzantinisch und gotisch anmutender Ornamentik.
Durch den plötzlichen Tod des Königs muss die Einweihung des Turms verschoben werden, auch die erhoffte Finanzspritze aus Dresden bleibt aus. Am 9. September 1854 ist es dann endlich so weit, drei Tage feiern die Lausitzer ihr Schmuckstück auf dem Löbauer Berg. Bretschneiders Motto - Je weiter der Blick, desto freier das Herz - gilt noch immer. Und sein Werk ist bis heute an Originalität unübertroffen. Der König-Friedrich-August-Turm ist der einzige gusseiserne Aussichtsturm der Welt.