Billie Holiday, eine der größten Jazzsängerinnen aller Zeiten, ist hauptsächlich mit ihrem Lied "Strange Fruit" zu Weltruhm gelangt. Dieser erste Protestsong in der Geschichte der schwarzen Musik beklagt die zahlreichen Opfer der mörderischen Lynchjustiz im rassistischen Süden der USA, und es setzte viel Mut voraus, ihn im Jahre 1939 ins Programm zu nehmen.

Torch Songs

Billie Holiday hatte diesen Mut, trotz ihrer von Armut, Gewalt und Missbrauch geprägten Kindheit, trotz der ständigen Demütigungen, die ihren Alltag auch später prägten. Um als schwarze Künstlerin auf die Bühne zu gelangen, musste sie Hintereingänge und Lastenaufzüge nehmen.
Dennoch war nicht das politische Lied ihre eigentliche Domäne, sondern das Liebeslied mit Schwerpunkt auf dem Torch Song. Torch bedeutet Fackel, und Torch Songs leuchten die Höhen und Tiefen des Liebeslebens aus, aus weiblicher Perspektive. Und die ist nicht selten von Schmerz und Kummer geprägt. Davon konnte Billie Holiday viele Lieder singen, denn sie geriet häufig an gewalttätige Männer, die sie ausbeuteten und mit Drogen versorgten. Billie Holiday spielte selbst gern mit dem Feuer, neigte zu Grenzgängen und Temperamentsausbrüchen. Die elegante Lady mit weißen Gardenien im Haar gab sie nur auf der Bühne.
Einer ihrer bekanntesten Torch Songs heißt "My man". Darin besingt sie einen Geliebten, der neben ihr noch zwei, drei andere hat. Er ist nicht treu, er schlägt mich auch, was soll ich tun?, klagt sie. Nichts wird sie tun, denn obwohl der Geliebte sie am Leben verzweifeln lässt, ist er alles, was sie hat, und sie gibt sich ihm ganz zu eigen.
Torch Songs erzählen von Zerrissenheit, Abhängigkeit, unheilbarem Schmerz. Sie bieten keinen Ausweg und rufen nicht zu Gegenwehr und Widerstand auf. Aber sie wecken die Sehnsucht nach einer ganz anderen Welt, die von Liebe erfüllt ist, von Küssen, Wärme, Nähe und Leidenschaft, einer Liebe, die tiefe Wunden heilt.

"Where can you be?"

Von dieser Sehnsucht erzählt "Lover Man", ein Lied, das Billie Holiday am 4. Oktober 1944 aufgenommen hat. Von einsamen und kalten Nächten ist da die Rede. Nur vom Hörensagen weiß die Sängerin, dass eine aufregende Romanze wie ein himmlischer Traum sein kann. Doch eines Tages, da ist sie sich sicher, wird ihr Lover Man kommen und sie mit Küssen und Umarmungen überschütten, ihr süße kleine Nichtigkeiten ins Ohr flüstern und alle Tränen trocknen.
Wie immer singt Billie Holiday eher schmucklos, Vibrato setzt sie nur sparsam ein, aber sie betont jedes Wort so eindringlich und melodisch, dass es direkt zu Herzen geht. Ihre einzigartige Ausdruckskraft entspringt keineswegs unmittelbar ihrem unruhigen, oft gepeinigtem Leben, sondern verdankt sich harter kreativer Arbeit, die sie zu Ruhm und großen Erfolgen führte. Trotzdem starb sie bereits mit 44 Jahren an den Folgen ihrer Drogensucht. Lover man, o where can you be? Die Schlusszeilen ihres Liedes hallen bis heute nach, in einer Intensität, die eigentlich alle guten Mächte des Universums auf den Plan rufen müsste.