25. Mai 1534 Dämmerungsverwechslung vor Münster
Der beste Zeitpunkt für einen Sturmangriff ist die Morgendämmerung – alte Landsknechtsweisheit. Was aber, wenn man Morgen- und Abenddämmerung verwechselt? Autor: Xaver Frühbeis
25. Mai
Dienstag, 25. Mai 2021
Autor(in): Xaver Frühbeis
Sprecher(in): Hans-Jürgen Stockerl
Illustration: Tobias Kubald
Redaktion: Frank Halbach
Eigentlich könnte das Leben so einfach sein. Tagsüber scheint die Sonne, in der Nacht tut sie's nicht. Das ist leicht zu merken. Wenn da nicht diese Graubereiche wären. Diese wischi-waschi Dämmerungen. Geht die Sonne jetzt grad auf oder geht sie unter: das richtig zuzuordnen, dazu braucht man den chronologischen Zusammenhang. Aber normalerweise haben wir das im Griff, und eine Verwechslung ist nicht schlimm.
Wiedertäufer
Am 25. Mai des Jahres 1534 jedoch hat sich vor den Toren der Stadt Münster eine sehr folgenschwere Dämmerungsverwechslung zugetragen. In Münster hatte sich eine Sekte verschanzt. Die verabscheuungswürdige, weil vom wahren Christenglauben abgefallene Sekte der Wiedertäufer. Im Februar 1534 waren die Wiedertäufer in Münster an die Macht gekommen. Danach hatten sie jeden aus der Stadt geworfen, der nicht - wie sie - ein Wiedertäufer sein wollte. Und dann ging's los. Privatbesitz wurde abgeschafft, männliche Täufer nahmen sich, weil die Täuferinnen viele waren und sehr schön, gleich mehrere Frauen, und die meisten glaubten, das Ende der Welt sei nahe.
Morgen oder Abend?
Es war also für jeden außerhalb Münsters leicht einzusehen, dass das so nicht geht. Und so hat sich der zuständige Fürstbischof Kriegs- und Landsknechte gemietet, die die Stadt umzingeln, belagern und einnehmen sollten. Münster jedoch ist gut befestigt, und das Unternehmen zieht sich hin.
Und so wird Ende Mai wieder einmal ein Sturm auf die Mauern beschlossen. Eine gute Zeit für einen solchen Angriff ist die Morgendämmerung, da sind die Belagerten schlaftrunken, und man hat leichtes Spiel. So beschließt man also, am Morgen des Dienstag nach Pfingsten bei Sonnenaufgang loszuschlagen. Tags zuvor trinken sich die Landsknechte noch Mut an. Bier und Branntwein fließen in Strömen. Die Folge ist, dass viele Soldaten am Nachmittag schon sturzbesoffen sind und ihren Rausch ausschlafen. Und da wacht jetzt plötzlich einer von ihnen auf - und erschrickt. Es dämmert. Wollte man nicht in der Dämmerung angreifen? Unser Mann ruft Alarm. Die anderen wachen auch auf, rufen auch Alarm und greifen zu den Waffen. Damit beginnt der Angriff auf Münster. Aber die Verteidiger sind gar nicht schlaftrunken und wehren sich verbissen. Zwei Stunden lang dauert der Kampf, dann ziehen die Landsknechte sich wieder zurück. Zweihundert Tote und Verwundete hat an diesem Nachmittag der belagernde Fürstbischof hinnehmen müssen, dazu jede Menge Spott und Hohngelächter. Und das alles wegen eines einzigen Landsknechts, der in seinem Suff-Tran die Dämmerung vom Abend mit der vom Morgen verwechselt hat. Ein ganzes Jahr lang sollte es danach noch dauern, bis man die Stadt Münster den Wiedertäufern wieder wegnehmen konnte. Aber das ist eine andere Geschichte.