19. Mai 1780 Dark Day sorgt in New England für Verunsicherung
Es muss ein Gottesgericht sein, eine Art Strafe für die Verfehlungen der Menschen. Solche gab es offensichtlich einige zu Zeiten der ersten europäischen Siedler in Amerika, denn die waren sofort mit einer überirdischen Erklärung bei der Hand, als es plötzlich stockfinster wurde. Autorin: Justina Schreiber
19. Mai
Freitag, 19. Mai 2023
Autor(in): Justina Schreiber
Sprecher(in): Irina Wanka
Illustration: Tobias Kubald
Redaktion: Susi Weichselbaumer
Große Hitze, trockene Flüsse und vergiftetes Wasser. Die Bibel droht seit mehr als 2000 Jahren mit Szenarien, die heute zur Realität auf Erden gehören. Trotzdem glaubt kaum jemand ernsthaft, dass Gebete gegen die globale Erwärmung helfen. Aber ein paar Kerzen im Haus zu haben, die man in der Not anzünden kann, empfiehlt sich dann eben doch. Stichwort: Blackout.
Stockfinster
Nichts geht mehr. Informationen fließen nur spärlich oder gerüchteweise. Der Horror pur. Ohne Strom bricht das moderne Leben ja komplett zusammen. Allein die Sauerei mit den Lebensmitteln, weil die Kühlungen nicht mehr funktionieren, das will man nicht erleben. Die Hölle! Die Menschen vergangener, vorindustrieller Zeiten hatten es in dieser Hinsicht besser, weil ihr Alltag noch nicht von unzähligen Akkus, Batterien und Netzkabeln abhing. Okay, okay, sie hätten deshalb auch keinen Blackout erleben können. Der Einwand zählt. Aber Moment mal! Denkste!
Finster geht auch ohne Strom
Am 19. Mai 1780 ereignete sich nämlich tatsächlich so etwas wie ein Blackout im Nordosten der USA, in den Gebieten, die man "New England", also Neuengland, nannte. Der Tag ging als "Dark Day" in die amerikanische Geschichte ein. Was war geschehen? Niemand konnte es sagen. Es blieb einfach dunkel an diesem 19. Mai im Jahr 1780 vom Osten Maines bis hin zur Küste von Connecticut. Ja, die Dunkelheit verdichtete sich gegen Mittag sogar dermaßen zur absoluten Finsternis, dass selbst unerschrockene Bauern ihre Arbeit einstellen mussten. Die Hühner gingen schlafen, die Vögel verstummten, während die Grillen zu zirpen und ein paar durchgedrehte Hähne zu krähen anfingen.
Die Welt der Siedlerfamilien stand Kopf beziehungsweise still. Alt und Jung, Arm und Reich, alle blickten zum Himmel hinauf, fragend, klagend, bangend. Doch der blieb schwarz. Ein totaler Blackout. Den Predigern wurden an diesem außergewöhnlichen Freitag die Kirchentüren eingerannt. Sie wussten die Panik zu nutzen. Denn so viel schien für Viele klar: es handelte sich um eine Strafe Gottes. Fragte sich nur: für was genau? Nun, eine Vermutung lag nahe. Seit der Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten, sprich: der 13 neuenglischen Kolonien, im Jahr 1776 führten die nordamerikanischen Provinzen Krieg gegen ihr Mutterland. Die Yankees kämpften gegen die britische Krone. War es möglicherweise ein Frevel, im Namen der Freiheit über Leichen zu gehen?
Das Jüngste Gericht blieb dann zwar aus. Aber die Frage war gar nicht so falsch formuliert. Allein schon, wenn man an das Leid der missachteten indigenen Bevölkerung denkt. Die Ursache dieses "Dark Friday" im Mai des Jahres 1780 waren nämlich, wie man heute weiß, außer Kontrolle geratene Brandrodungen, mit denen sich die Kolonialisten den Boden urbar und zu eigen machten. Der Wind hatte dichte Asche-Wolken voller Rußpartikel über das Land getrieben. Eine Inversionswetterlage kam hinzu. Und fertig war die Katastrophe, die einem Menetekel gleich auf den heutigen Klimawandel verwies. Doch als am nächsten Tag das Licht die Finsternis wieder vertrieb, ging das Rackern, Raffen und Töten letztlich weiter wie zuvor.