4. November 1989 Demonstration auf dem Alexanderplatz in Ost-Berlin
Es ist der Anfang vom Ende der Deutschen Demokratischen Republik. Unter Gorbatschow weht aus der UdSSR Tauwetter herüber, also wollen auch die Menschen in der DDR endlich Reformen sehen. Die SED-Machthaber versuchen diese Bestrebungen zu unterbinden, doch die Demonstrationen reißen nicht ab. Autor: Hartmut E. Lange
04. November
Montag, 04. November 2024
Autor(in): Hartmut E. Lange
Sprecher(in): Johannes Hitzelberger
Redaktion: Susi Weichselbaumer
"Von der Sowjetunion lernen, heißt siegen lernen!" - Diese Losung, tausendfach gedruckt und von Funktionären nachgebetet, wird von den meisten DDR-Bürgern abschätzig belächelt. Das ändert sich 1986, als ein frischer Wind aus Moskau weht. Der neue Chef der UdSSR, Michail Gorbatschow, fordert Glasnost und Perestroika von Volk und Partei: Transparenz und Umgestaltung – also Reformen. Genau das will auch die Parteibasis der SED, denn sie kennt die miese Stimmung in der Bevölkerung. Doch das Zentralkomitee fürchtet Reformen wie der Teufel das Weihwasser.
Anfang Oktober 1989, am 40. Geburtstag der DDR, ist auch Gorbatschow zu Gast bei der pompösen Feier in Ost-Berlin. Hunderte Menschen strömen zum Palast der Republik und rufen: "Gorbi, hilf uns!" Auch auf dem Alexanderplatz skandieren viele junge Leute: "Gorbi, Gorbi!" Volkspolizei und Stasi entpuppen sich als brutale Schlägertrupps, die friedliche Demonstranten verprügeln und verhaften.
Jetzt reichts!
Unter den in Polizeigewahrsam Misshandelten und Gedemütigten befinden sich viele Sprösslinge von Kulturschaffenden. Die prominenten Eltern finden: Jetzt reichts! Künstler von Theater, Film und Fernsehen organisieren eine Protestdemo. Motto: Gegen Gewalt, für Presse-, Meinungs- und Versammlungsfreiheit. Egon Krenz, seit Honeckers Entmachtung Mitte Oktober der neue Mann an der Spitze der DDR, hat in seiner Antrittsrede eine Wende in der Partei versprochen. Darauf berufen sich die Organisatoren.
Historisch und einmalig
Am 4. November 1989 findet die erste Demonstration in der Geschichte der DDR statt, die nicht vom Machtapparat, sondern vom Volk organisiert wurde. Über 500 000 Teilnehmer versammeln sich im Zentrum der Hauptstadt auf dem Alexanderplatz. Von der provisorischen Tribüne auf einem Lkw wenden sich 24 Redner an die Menge, prominente Schriftsteller, Schauspieler, Friedens- und Umweltaktivisten. DDR-Fernsehen und Rundfunk übertragen live.
Niemand fordert eine andere Gesellschaftsordnung, aber die Reform des bestehenden Systems. Die SED wird scharf kritisiert, ihr Führungsanspruch in Frage gestellt. Schriftsteller Stephan Heym erinnert unter tosendem Beifall an die Bedeutung des Wortes Demokratie: Herrschaft des Volkes! Christa Wolf bedauert, dass in den vergangenen Monaten so viele Bürger die DDR verlassen haben. "Stell dir vor es ist Sozialismus, und keiner geht weg!", ruft die Autorin in die jubelnde Menge. Sie dankt den mutigen Leipzigern, die durch ihre nicht genehmigten Montagsdemos diese hier erst ermöglich haben. Es war der Druck der Straße, der die Partei zum Umdenken gezwungen hat.
Auch Vertreter des Machtapparates kommen zu Wort. Aber Ex-Stasi-General Markus Wolf und Politbüromitglied Günter Schabowski werden ausgepfiffen. Keiner ahnt, auch Schabowski selbst nicht, was er 5 Tage später auf einer Pressekonferenz verkünden wird: Neue Reisereglung für DDR-Bürger – die Mauer ist offen. Die Reform der DDR ist ein kurzer Prozess, denn bald fordert die Mehrheit des Volkes die Wiedervereinigung.