16. April 1982 Erstes deutsches Retortenbaby geboren
Bei Tieren war sie schon lange kein Problem mehr - die künstliche Befruchtung einer Eizelle durch Spermien im Reagenzglas. Und bei den Menschen? Da gab es Probleme - bis zum 16. April 1982, dann kam Oliver zur Welt, das erste deutsche Retortenbaby.
16. April
Freitag, 16. April 2010
Autorin: Christiane Neukirch
Redaktion: Thomas Morawetz
"Ach. Lieber Herr, wie gab ich solchen Anlass Eurem Zorn, dass ihr ... mir jede Lieb und Gunst entzogt? Gott weiß, ich war Euch stets ein treu ergeben Weib, zu allen Zeiten fügsam Eurem Willen."
Diese eindringlichen Worte hat Shakespeare Katharina von Aragon, der Königin von England, in den Mund gelegt. Ihre Verzweiflung ist groß: 23 Jahre lang hat sie ihr Bestes getan, ihrem Mann Heinrich VIII. einen Thronfolger zu gebären. Genützt hat es nichts: Mit der Tochter, die aus der Ehe hervorgegangen ist, will Heinrich sich nicht zufrieden geben. 1533 verlässt er seine Frau für eine andere; um dies ungestraft tun zu können, erlässt er ein Gesetz und bricht mit der Kirche.
Der unerfüllte Kinderwunsch ist seit Jahrhunderten nicht nur ein Problem von Königen. Während Heinrich politische Wege schafft, sich eine andere Frau zu nehmen, können sich seine Untertanen nur schwer behelfen. Wem ein Versuch mit Ehebruch zu heikel ist, muss sich auf magische Sprüche und Kräuter verlegen. Bis Ende des 18. Jahrhunderts ändert sich daran nichts.
Ausgerechnet ein Geistlicher ist es, der erste wissenschaftliche Versuche zur künstlichen Befruchtung anstellt. 1785 verhilft der Italiener Lazzaro Spallanzani einer Pudeldame mittels einer Spermaspritze zu drei kerngesunden Welpen. "Ich weiß nicht", schrieb ihm der Schweizer Philosoph Charles Bonnet, "ob das, was Sie soeben entdeckt haben, eines Tages für die menschliche Gesellschaft Folgen haben wird, die nicht gering sein werden."
Gut 150 Jahre später beginnt sich eine Entwicklung in diese Richtung abzuzeichnen: 1928 gelingt es Forschern, tierische Eizellen in einem Reagenzglas zu befruchten und sie mit Erfolg wieder einzupflanzen. Warum also nicht auch beim Menschen? In Amerika startet das Projekt "Eierjagd": Hunderte Frauen werden aufgerufen, Eizellen zu spenden - ein langwieriges Unterfangen, da jede Frau immer nur eine Zelle abgeben kann. Bei den Spermien ist die Ausbeute ungleich größer. Bald wird klar, dass man die Zellen zur Konservierung tiefkühlen kann, ohne dass sie Schaden nehmen.
Dann wird es spannend: Im Reagenzglas lässt man die Spermien auf die Eizelle los. Doch nichts geschieht. Die menschlichen Spermien hängen - im Gegensatz zu ihren tierischen Kollegen - träge herum; nach einiger Zeit sterben sie ab. Es sieht so aus, als hätten sie einfach keine Lust. Die Forscher sind ratlos.
13 weitere Jahre dauert es, bis sie herausfinden: Es stimmt. Erst wenn die Samenzellen den natürlichen Weg bis zum Eileiter der Frau zurückgelegt haben, sind sie bereit, in die Eizelle einzudringen. Ein Wissenschaftler formuliert es so: Sie entkleiden sich unterwegs chemisch. Fortan brodelt es in den Labors: Cocktails werden gemixt, um die Spermien chemisch in Stimmung zu bringen. 1969 endlich ist das passende Badewasser gefunden.
Ein Wettrennen beginnt: Wer wird es schaffen, das erste Kind aus dem Reagenzglas zur Welt zu bringen? England gewinnt: 1978 wird dort das erste Retortenbaby geboren. Doch die deutschen Forscher sind ihnen hart auf den Fersen. Schon in den 60er Jahren haben sie mit dem Projekt begonnen; haben sich mit bürokratischen und finanziellen Hürden herumschlagen müssen und dabei viel Zeit verloren. Doch am 16. April 1982 ist es soweit: In Erlangen erblickt Oliver das Licht der Welt. 4150 Gramm wiegt er und misst 53 Zentimeter. Ein ganz normales Baby. Und ein kleines Wunder.
Inzwischen ist es längst Routine: Schätzungsweise drei Millionen Kinder sind bis heute weltweit durch künstliche Befruchtung zur Welt gekommen. Neue Hoffnung auch für Könige, die noch ohne Erbprinz sind.