30. Juni 2017 Abstimmung zur Ehe für alle
Als am 30. Juni 2017 das Gesetz zur Ehe für Alle nach 30 Jahren Kampf und Engagement dafür verabschiedet wurde, war das ein gesellschaftlicher Meilenstein. Im Bürgerlichen Gesetzbuch heißt es seitdem: "Die Ehe wird von zwei Personen verschiedenen oder gleichen Geschlechts auf Lebenszeit geschlossen." Autorin: Isabella Arcucci
30. Juni
Freitag, 30. Juni 2023
Autor(in): Isabella Arcucci
Sprecher(in): Irina Wanka
Redaktion: Frank Halbach
Zwei Männer reiferen Alters, die sich in den Armen halten und selig anlächeln. Karl und Bodo, das erste gleichgeschlechtliche Brautpaar Deutschlands. Pardon, Bräutigampaar. Auch wenn einer von den beiden im Register des Standesamts noch als «Frau» eingetragen werden musste. Computersysteme sind eben doch altmodischer als Menschengehirne. 38 Jahre sind Bodo und Karl zu diesem Zeitpunkt schon ein Paar. Jahre der Rebellion und des Kampfes um gleiche Rechte. Auf dem Hochzeitsbild sieht man ihnen ihr Glück an. Und das ist recht neu. Also, dass Paare glücklich auf ihren Hochzeitsfotos aussehen.
Gesetze wider die Liebe
Betrachtet man derlei Fotos aus dem 19. und frühen 20. Jahrhundert blickt man in verkniffene Gesichter. Grinsen galt als unziemlich, vielleicht ja auch deshalb, weil es bei der Ehe weniger um Zuneigung ging als um Status, Geld und Fruchtbarkeit. Obwohl seit der Romantik die Liebesheirat immer mehr zum Ideal wurde, taten Konvention und Gesetzgeber im deutschsprachigen Raum doch einiges dafür, dass die Leidenschaft nicht überhandnahm. Die Ehe war ein gesellschaftliches Vorrecht und nix für jeden. So durften in Hamburg in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts Soldaten und Handwerksgesellen nicht vor den Traualtar treten. In Tirol benötigten Heiratswillige sogar bis 1921 die Erlaubnis ihrer Gemeinde, um sich trauen zu lassen. Denn wo käme die Gesellschaft hin, wenn jeder arme Schlucker sich vermählen und dann, Gott bewahre, auch noch Kinder in die Welt setzen würde. Letzteres passierte natürlich trotzdem. Gerade im heiratsrestriktiven Bayern wimmelte es vor unehelichem Nachwuchs, zum Schrecken der Geistlichkeit.
Unter den Nazis dann mussten Ehewillige einen Arier-Nachweis vorlegen und ein amtsärztliches Zeugnis, welches körperliche und geistige Gesundheit bestätigte, sowie Potenz und Fruchtbarkeit.
Von Lack, Leder und Dinkelkeksen
Erst mit Ende des Zweiten Weltkriegs gab es immer mehr Freiheiten für die Eheschließung und Raum für Amore - oder das, was der deutsche Durchschnittsspießer darunter verstand. Mutti und Vati im trauten Heim, mit Fernseher, Waschmaschine und zwei Kindern mit frisch geputzten Nasen.
Aber was, wenn man nicht Mann und Frau war? Für homosexuelle Paare blieb die Ehe und damit die rechtliche Gleichstellung mit heterosexuellen Lebensgemeinschaften lange unerreichbar. In den 1980er Jahrenwurden die ersten Forderungen von Lesben und Schwulen nach Öffnung der Ehe in Deutschland laut. Für viele Politiker ein absolutes No-Go. Homosexuelle, die auf Straßenparaden grell geschminkt, in Lack und Leder ihre Art der Liebe feierten, wollten jetzt auch noch die bürgerliche Bastion Ehe zerstören?
Es brauchte Jahrzehnte zäher Überzeugungsarbeit von Aktivistinnen und Aktivisten, bis am 30. Juni 2017 im Bundestag das Gesetz zur Ehe für Alle verabschiedet wurde. Inzwischen ist es gleichgeschlechtlichen Paaren, trotz weiter bestehender Hürden, auch möglich, eine Familie zu gründen, als Pflege- oder Adoptiveltern und per Samenspende. Und so sieht man immer häufiger wie zwei Muttis Hand in Hand zum Kita-Elternabend schreiten und zwei Vatis auf dem Spielplatz die Wickeltasche nach Windel, Schnulli und Dinkelvollkornkeksen durchwühlen. Eben nicht anders als Millionen anderer deutscher Durchschnittseltern auch.