9. April 1916 Der Tag, der Shackleton zur Legende machte
Es war das „Goldene Zeitalters der Antarktisforschung: Der Beginn des 20. Jahrhunderts. Sir Ernest Henry Shackleton war einer der berühmtesten Expeditionsleiter. Nicht weil ihm die Durchquerung des antarktischen Kontinents von Küste zu Küste über den geographischen Südpol hinweg gelungen wäre. Autorin: Lavina Schreiber
09. April
Mittwoch, 09. April 2025
Autor(in): Lavina Stauber
Sprecher(in): Irina Wanka
Redaktion: Frank Halbach
Mit einem dumpfen Knirschen gibt das Eis unter dem Gewicht der sieben Meter langen James Caird nach, die schwer beladen mit Vorräten und Hoffnung in das eiskalte Wasser gleitet. Der Wind heult, als würde die Antarktis eine Warnung ausrufen. Salzige Gischt peitscht in die Gesichter der Männer, die sich durch das Labyrinth an Eisschollen navigieren. An ihrer Spitze: Ernest Shackleton. Der britische Polarforscher mustert seine Mannschaft, die an diesem 9. April im Jahr 1916 auf drei kleinen Booten verteilt einen Ausweg aus dem ewigen Eis sucht. Ihre Gesichter sind gezeichnet von den Monaten des Überlebenskampfes, der hinter ihnen liegt.
Ein Jahr zuvor bricht die 27-köpfige Mannschaft unter der Führung von Shackleton auf. Die Mission: den antarktischen Kontinent von Küste zu Küste, vom Weddellmeer bis zum Rossmeer, zu durchqueren – eine Strecke von an die 3.000 Kilometern.
Doch weit kommen sie nicht. Ihr Schiff, die Endurance, wird vom Packeis eingeschlossen. Monatelang driftet sie im Griff des Eises, jedwede Versuche, sie freizubekommen, scheitern. Als die Endurance von sich bewegenden Eismassen schließlich zerquetscht wird, ändert Shackleton seinen Plan schlagartig. Sein Ziel ist es nicht mehr, die Antarktis zu durchqueren, sondern alle seine Männer wohlbehalten zurückzubringen.
Ein Camp auf einer Eisscholle
Doch ein Vorankommen zu Fuß und mit Schlitten ist undenkbar. Laut seiner Berechnung müsste das Team über 300 Tagesmärsche zurücklegen, um Land zu erreichen. Also schlagen die Männer auf einer Eisscholle ihr Lager auf, ernähren sich von Fisch und Robbenfleisch und überstehen die kalten und dunklen Monate nahe des Südpols.
Doch im April 1916 ist auch ihre Eisscholle kein sicherer Ort mehr: sie droht zu brechen. Shackleton hat für diesen Moment bereits drei Rettungsboote vorbereiten lassen, die an diesem 9. April mittags ins Eismeer aufbrechen. Ein gefährliches Unterfangen, denn das Packeis um sie herum ist dynamisch und beweglich. Wenn es sich plötzlich verschiebt, bricht oder mit hoher Geschwindigkeit zusammenschiebt, sind die Boote, die durch die Kanäle und Lücken im Eis navigieren, verloren.
Doch Shackleton kann seine Mannschaft aus dem Labyrinth lotsen, bis nach Elephant Island – ein trostloser Streifen Land inmitten des Südpolarmeers.
Letzte Rettung durch die Drake Passage
Dort lässt er den größten Teil seiner Crew zunächst zurück – und segelt 1.300 Kilometer weiter bis zur nächsten Hoffnung: Südgeorgien. Dabei muss er die stürmische Drake-Passage, die als eine der heftigsten Wasserstraßen der Welt bekannt ist, passieren. Und das gelingt ihm.
Von Südgeorgien kann er Hilfe holen und so hält er sein Versprechen an sich selbst: Alle Expeditionsteilnehmer überleben und kehren nach zwei Jahren Abgeschiedenheit aus der Antarktis zurück. Und Shackleton wird berühmt: nicht für seine Expedition, sondern für seine außergewöhnliche Führung und seine Fähigkeit, seine Männer in einer der extremsten Überlebenssituationen zu retten.