11. Januar 2002 Wolfratshauser Frühstück
Beim Redn kemman d´Leit zam. Und wo lässt es sich besser reden, als beim Essen? Das dachten sich vielleicht Edmund Stoiber und Angela Merkel, als sie sich zum Frühstücken trafen, um bei Tisch zu klären, wer besser Kanzler kann. Oder Kanzlerin. Gegessen wurde dann aber fast nichts. Autor: Thomas Grasberger
11. Januar
Mittwoch, 11. Januar 2023
Autor(in): Thomas Grasberger
Sprecher(in): Irina Wanka
Illustration: Tobias Kubald
Redaktion: Susi Weichselbaumer
Dass die Menschen recht verschieden sind, zeigt sich oft schon am frühen Morgen. Die einen beginnen den Tag mit Bohnenkaffee, Wurstaufschnitt und einem Drei-Minuten-Ei. Die anderen mit Müsli, Obstsalat und Früchtetee. Auch gebratener Fisch, Miso-Suppe und Nori-Algen werden gern genommen. In Bayern jedoch eher selten. "Das wär mir zu schwer", hört man da oft; übrigens auch von Leuten, die sich allmorgendlich ein Viertelpfund Nussnougatcreme auf ihre Weißbrotsemmel löffeln. Frühstücken ist eben eine Glaubensfrage. Die in zunehmend säkularen Zeiten gern auch dahingehend beantwortet wird, dass man gar nicht mehr frühstückt. "Breakfast Cancelling" nennt man auf Neudeutsch diese Variante des intermittierenden Fastens. Ob es wirklich beim Abnehmen hilft? Das ist ebenfalls eine Glaubensfrage.
Frühstücks-Glaube
Übrigens, auch die Behauptung, ein bayerisches Frühstück bestehe notwendigerweise aus Weißwürsten, Brezn und Weißbier, gehört ins Reich norddeutscher Sagen und Ernährungs-Legenden. Das weiß die Welt spätestens seit dem 11. Januar 2002. An jenem Freitag, frühmorgens um acht, trafen sich in einer Doppelhaushälfte im oberbayerischen Wolfratshausen zwei deutsche Spitzenpolitiker - zum Frühstück! Als Gast geladen war die damalige CDU-Bundesvorsitzende Angela Merkel. Als Gastgeber fungierten der seinerzeitige bayerische Ministerpräsident und CSU-Vorsitzende Edmund Stoiber sowie - im Hintergrund wirkend - seine Frau Karin. Nachweislich nicht dabei: Weißwurst und Weißbier!
Weißwurst-frei
Aber schon bei der Brezn streiten sich die Gelehrten. Obwohl von der Fachpresse ausführlich diskutiert, konnte die Frage, was an jenem Freitag genau auf dem Wolfratshauser Frühstückstisch aus Nussbaumholz stand, letztlich nie ganz geklärt werden. Klar, es gab Kaffee, Semmeln, Brot, Honig, Marmelade, Schinken und Käse. Aber sollte Karin Stoiber wirklich die Brezn vergessen haben? Eigentlich unvorstellbar. Obwohl ... sie hatte ja erst am späten Vorabend erfahren, dass hoher Frühstücksbesuch ins Haus stand. Jedenfalls hat Karin Stoiber auf die Schnelle einen wunderbaren Frühstückstisch hergezaubert. Und der Dank dafür? Eine einzige Semmel hat er gegessen. Und die Merkel - nur eine halbe! Streng genommen handelte es sich also eigentlich um eine Frühform des "Breakfast Cancellings".
Inhaltlich ging´s bei dem Treffen aber nicht um die "Cancelling-", sondern um die Kanzler-Frage. Wen sollten die Unionsparteien in die Bundestags-Wahl 2002 schicken? Merkel hatte Interesse bekundet, aber die Umfrageergebnisse - und vor allem die Herren in ihrer eigenen Partei - machten Stoiber zum Kandidaten. Und so endete das Wolfratshauser Frühstück mit einem Verzicht Merkels. Stoiber unterlag bei der Wahl im September knapp dem amtierenden Kanzler Gerhard Schröder. Und Angela Merkel? Wartete geduldig. Das intermittierende Fasten sollte ihr politisch gut bekommen: Unter Umgehung jeglichen Frühstücks schritt sie 2005 direkt an die Bankette der Macht. Wo die erste Bundeskanzlerin der Republik dann 16 Jahre lang manch Anderen die Butter von der Brezn nahm.