4. Oktober 1454 Agnes Schwanfelder erfindet das Götzzitat
Schwäbischer Gruß sagt man, wenn man nicht sagen will "Leck mich am...." - na Sie wissen schon. Dabei liegt Bamberg doch gar nicht in Schwaben. Denn dort wurde das Götz-Zitat erfunden, dem Goethe in seinem "Götz von Berlichingen" ein Denkmal setzte und dem Mozart einen Kanon widmete. Autor: Simon Demmelhuber
04. Oktober
Dienstag, 04. Oktober 2022
Autor(in): Simon Demmelhuber
Sprecher(in): Hans-Jürgen Stockerl
Illustration: Tobias Kubald
Redaktion: Frank Halbach
Manchmal muss es sein. Manchmal geht es nicht anders. Wenn alles Übrige gesagt ist, wenn eine See von Plagen, der Zeiten Spott und Geißel, wenn der Übermut der Ämter und verschmähter Liebe Pein uns beutelt, hilft nur eins: Die zwiegewölbte Heck- und Leck-Offerte, das rückwärtige Besuchsangebot. Nichts sonst deckt eine ähnlich regenbogenbunte Fülle seelischer Befindlichkeiten ab, nichts sonst taugt mehr zur Notentlüftung des inneren Hochdruckkessels.
Wer hat’s erfunden?
Wem aber danken wir die wogenglättende Wohltat, wer hat uns den Hausschatz zu ewigem Nutz und Frommen vermacht? Nein, Goethe war's nicht. Na ja, schon auch, aber später. Die wahre Quelle liegt tiefer und weder in Frankfurt, Wetzlar noch Weimar. Sie sprudelt im giebelstolzen, vieltürmigen, fachwerkprangenden Bamberg des Spätmittelalters.
Dort geht es an einem Montag des Jahres 1454 stracks auf Mitternacht zu. Feuer und Licht sind sorgsam verwahrt, die braven Bürger schlafen, Stille überwölbt die schlummernde Stadt. Da beginnt es auf dem Grund einer Gasse des Gärtnerviertels plötzlich zu brodeln. Stimmen wabern, zündeln, lodern. Ein kreischender Sopran und ein polternder Bass verbeißen sich ineinander. Das Gezänk schwillt an, man schenkt einander wacker ein, tischt großzügig auf, bespeit sich herzhaft, zetert, geifert, lässt nicht locker, tritt nach. Ein letztes, gipfelndes Crescendo, ein nachtrotzendes Knurren und Raunzen, dann endlich Ruhe!
Das nächtliche Spektakel hat ein Nachspiel: Der Bass wähnt sich gekränkt, die Sache muss vor den Richter! Zuvor ist allerdings amtlich zu prüfen, ob die von Hans Schwab, Chorherr zu St. Gangolf, gegen die Witwe und Marktfrau Agnes Schwanfelder erhobene Beschuldigung zurecht besteht.
Zur Klärung dieser Frage lädt das Stadtgericht etliche Augen- und Ohrenzeugen des Geschehens vor. Die zu strengster Wahrheit ermahnten Bürger bestätigen zunächst einvernehmlich, dass besagte Agnes Schwanfelder, eine stadtbekannte Schandbappen, den Geistlichen Herrn von sich aus übelst angegangen und schändlich beleidigt habe.
Alles wahr
Die Schwertgoschen hat den Kläger in der Tat einen verluderten Pfaffen, Almosendieb, Hurer, Prasser und auch den Bankert einer Nonne und eines entlaufenen Mönchs geheißen. Ferner trifft zu, dass die Ruchlose dem hochwürdigsten Herrn antrug, ihm derart auf die Platte zu scheißen, dass es ihm über beide Backen herab ins Maul rinnen möge. Und wahr ist weiß Gott auch, dass sie dem Pfaffen zuletzt - Abschied nehmend und selbst durch geschlossene Fenster deutlich vernehmbar - zurief, "er sollt sie doch im Arsche lecken!"
Allmächd! Da ist sie, die hinterbackenweisende Universalaufforderung: Erstmals urkundlich fassbar, beglaubigt, verbrieft, gesiegelt zu Bamberg am 4. Oktober 1454, gestiftet von der Schwanfelderin seligen Gedenkens, geadelt durch Götz und Goethe, geheiligt durch Sitte und Tradition. Na dann: Alles Gute zum Geburtstag, Bamberger Gruß!