20. Juni 1949 Gussie Moran spielt Tennis im Minirock
Aufsehen erregte die amerikanische Tennisspielerin Gussie Moran 1949 in Wimbledon weniger durch sportliche Leistungen, sondern ihr Outfit. Es bestand aus einem sehr kurzen Rock, bei dem die spitzenbesetzte Rüschenunterwäsche ab und an hervorblitzte. Skandalös – und sogar Anlass für Debatten im britischen Parlament. Autorin: Ulrike Rückert
20. Juni
Donnerstag, 20. Juni 2024
Autor(in): Ulrike Rückert
Sprecherin: Caroline Ebner
Redaktion: Frank Halbach
Die Spitze war der Skandal. Gussie Morans Tenniskleid war waghalsig kurz, aber was die Tenniswelt bei den Wimbledon-Meisterschaften 1949 kopfstehen ließ, war eine zwei Finger breite Spitzenborte mit Blumenmuster am Beinsaum des Höschens, das sie darunter trug. Wenn der Minirock beim Laufen und Springen hochflog, blitzte die Blümchenspitze auf. Das war Thema Nummer Eins bei der Eröffnung des Turniers am 20. Juni, Fotos gingen durch die internationale Presse – und dabei spielte Gussie Moran an diesem Tag nicht einmal. Die Amerikanerin hatte den Dress am Tag zuvor bei der Gartenparty eines exklusiven Sportclubs gezeigt.
Wohlanständige Sportkleidung
Auch bei ihrem ersten Match enttäuschte Gussie Moran das Publikum und trat in Shorts an. Als sie zur zweiten Runde endlich in dem sensationellen Outfit erschien, drängten sich die Zuschauer wie Sardinen auf der Tribüne, und Reporter warfen sich rücklings auf den Rasen, um die Spitze ins Bild zu bekommen. Es war das größte Ereignis der Saison.
Ob Frauen überhaupt Sport treiben sollten und wenn ja, welchen und wie ernsthaft, war seit dem 19. Jahrhundert Gegenstand endloser Diskussionen, und ebenso die Frage, welches Kostüm dabei moralisch vertretbar sei. Beim ersten Frauen-Tennisturnier in Wimbledon 1884 traten die Teilnehmerinnen hochgeschlossen, in Korsett und langen Röcken mit diversen Unterröcken und mit Hut auf dem Kopf auf.
Weibliche Wohlanständigkeit war wichtiger als freie Bewegung und jede Lockerung der Gewänder ein Drama. Um 1900 stockte den Zuschauern der Atem schon beim Anblick von aufgerollten Blusenärmeln. Nach dem Ersten Weltkrieg schockierte Suzanne Lenglen mit einem wadenlangen Rock und lockerer Bluse, ohne Korsett und Unterrock.
Für die Briten war der erste Superstar des Tennis deshalb "das französische Flittchen". In den Dreißigerjahren sorgten unbestrumpfte Beine und dann Shorts für Aufruhr.
Glamour-Girl statt Tennisstar
Gussie Moran trug das Kleid mit dem Spitzenschlüpfer nur bei einem Match. Sie gewann keinen Titel. Aber sie war der Star des Turniers. Ihr Foto prangte auf den Titelseiten, ein Rennstallbesitzer taufte ein Fohlen nach ihr, ein Flieger sein neues Flugzeug und ein Restaurant eine Soße. Ein Wäschegeschäft verkaufte Unterhosen im Gussie-Style.
Die Offiziellen von Wimbledon zürnten, sie habe "Vulgarität und Sünde" ins Tennis gebracht. Aber dank des Aufmerksamkeitserfolgs wurden sie nun über Jahre mit provokanter Unterbekleidung konfrontiert, unter anderem mit Knickers aus Goldlamé.
Gussie Moran wollte ein Tennischampion sein, aber das gelang ihr nicht. Sie bekam einen Profivertrag und wurde als Glamour-Girl vermarktet. Der Schöpfer der Skandalhose, der Londoner Modedesigner Ted Tinling, entwarf in den folgenden Jahrzehnten extravagante Outfits für fast alle großen Tennis-Stars.
2023 waren Unterhosen wieder Thema in Wimbledon – Frauen dürfen sie nun offiziell in dunklen Farben tragen, damit Spielerinnen, die ihre Periode haben, nicht von Angst vor Spuren auf der weißen Kleidung abgelenkt werden. Dahin zu kommen, hat fast eineinhalb Jahrhunderte gebraucht.