18. Juni 1932 Harry Price errichtet ein Hexenlabor am Blocksberg
Manche Jubiläen treiben merkwürdige Blüten. Wie das Goethejahr 1932. Anlässlich Goethes 100. Todestages reiste der Parapsychologe Harry Price in den Harz zum Brocken, um für ein Hexenexperiment ein schwarzmagisches Ritual anzuleiten, in dessen Verlauf sich eine Ziege in einen jungen Mann verwandeln sollte. Autor: Simon Demmelhuber
18. Juni
Dienstag, 18. Juni 2024
Autor(in): Simon Demmelhuber
Sprecher(in): Christian Baumann
Redaktion: Frank Halbach
Es ist zum Verzweifeln mit dem Kerl. Mal ist er Forscher, dann wieder Eulenspiegel. Voll das Chamäleon. Man weiß nie, wer einem gerade gegenübersteht: Harry Price der Parapsychologe, ein besessener Aufklärer, der Spukphänomene untersucht und Scharlatane entlarvt? Oder Harry Price die Rampensau, ein geriebener Bühnenmagier und blitzlichtgeiler Geschichtenerzähler, ein Trickser, der Wahrheit lieber erfindet als aufdeckt? Schwierig! Wirklich vertrackt. Doch vielleicht lässt sich der eine gar nicht vom anderen trennen?
Das uralte Ritual
So wie damals, 1932, bei der Sache mit dem Blocksberg-Experiment.
Das war auch wieder so ein typisches Harry-Ding! Wie er den Hergang schildert, fängt alles mit einer deutschen Zauberhandschrift aus dem Mittelalter an. Harry kauft das Buch, findet darin ein finsteres Hexenritual, das Ziegenböcke in strahlende Jünglinge verwandelt. Irgendwie sickert das Ganze zum Harzer Fremdenverkehrsverband durch, der sich mit der Vorbereitung einer großen Goethefeier plagt. Bingo!, jubeln die Harzer! Das passt doch! Goethe, Brocken, Faust und Schwarze Magie - besser kann es nicht laufen. Nicht für den Harz, und auch nicht für Mr. Price, der dringend Werbung für sein Londoner Geister-Institut braucht.
Eingeschlagen, abgemacht! Die Tourismusmanager sorgen für Reklame und Pressepräsenz, dafür zieht Harry den Zauber auf dem Hexenberg durch. Selbstverständlich nur um zu zeigen, wie haltlos der Aberglaube ist. So kommt es, dass sich in den Abendstunden des 18. Juni 1932 an die hundert Reporter, Herren im Frack, Damen im Abendkleid und etliche tausend Zuschauer auf Goethes berühmtem Hexenplatz drängen.
Humbug
Feuer flackern, Weihrauch glimmt, Nebel schleiern. Im dünnen Mondlicht schimmert inmitten des Plateaus ein weiß gezogener Zauberkreis. Lange verharrt Price reglos am Rand des magischen Rings. Endlich hebt er die Arme. Eine barfüßige Jungfrau in weißwallenden Kleidern führt den Ziegenbock am Seidenseil ins Zentrum des Bannkreises. Während Price lateinische Beschwörungen leiert, salbt die Jungfer das verstörte Tier mit einer Paste aus Fledermausblut, Ruß, Honig und Feilspänen einer Kirchenglocke. Der Bock blökt jämmerlich, weil ihm die Zauberin nun auch noch Rotwein über den Kopf gießt und zuletzt ein weißes Seidentuch überwirft. Der Mond steht hoch, die Zeit ist gekommen und Price zählt langsam von Zehn bis Eins. "Vier". "Drei". "Zwei". "Eins!" Niemand atmet. Die Jungfer reißt das Tuch weg. Und wahrhaftig! Da zittert der völlig verschreckte Bock und meckert, rotweintriefend, mit Hexensalbe beschmiert, ein unsäglich klägliches "Määäh" in die neblige Nacht.
Trotzdem sind alle zufrieden. Die Geschichte rast um die Welt, der Harz und Harry machen Schlagzeilen, der Hexenhumbug ist pädagogisch wertvoll bloßgestellt. Und wer weiß, vielleicht hat Price die Heimfahrt noch für einen Abstecher ins nahe Kneitlingen genutzt. Dort, kaum eine Autostunde vom Brocken entfernt, hat um 1300 Til Eulenspiegel das Zwielicht des Daseins erblickt. Noch so ein Schalk, dem Harrys Blocksberg-Performance ganz gewiss verdammt gut gefallen hätte.