15. Oktober 1844 Johann Strauß Sohn tritt erstmals mit eigenem Orchester auf
Beinahe hätte der Walzerkönig Johann Strauß Vater die Karriere seines Sohnes verhindert. Doch schließlich schaffte es auch der junge Johann zum eigenen Orchester. Des Vaters Befürchtungen waren berechtigt: "Guten Abend, Strauß Vater, guten Morgen, Strauß Sohn", schreibt die Presse. Autor: Xaver Frühbeis
15. Oktober
Freitag, 15. Oktober 2021
Autor(in): Xaver Frühbeis
Sprecher(in): Hans-Jürgen Stockerl
Illustration: Tobias Kubald
Redaktion: Frank Halbach
Es ist nicht leicht gewesen, bei ihm zuhaus. Der Vater: ein berühmter Mann und die meiste Zeit unterwegs, wenn er daheim ist, trifft er sich mit der Geliebten, die ihm in zehn Jahren sieben Kinder geboren hat, das weiß jeder, das ist Stadtgespräch. Er selber, der älteste Sohn, versagt in der Schule, im Gymnasium ermahnt man ihn, vom Polytechnikum wirft man ihn wegen Faulheit, selbst der teure Privatunterricht fruchtet nichts, er hat keine Lust, Bankangestellter zu werden, was aber dann? Am besten ein berühmter Musiker, genau wie der Vater. Das aber kann der nicht zulassen. Seit sein Freund und Mitstreiter Joseph Lanner gestorben ist, ist der Vater der unangefochtene, weltberühmte Walzerkönig. Und Konkurrenz, gar aus der eigenen Familie, kann er nicht dulden. Also lernt der Sohn heimlich Geige, der Vater kommt ihm drauf und tobt, die Mutter dagegen unterstützt ihn. Ihre Hoffnung: falls es gelingen sollte, dem jungen Herrn ein eigenes Orchester zu verschaffen, dann wäre sie endlich finanziell nicht mehr von ihrem Mann abhängig.
Der Vater und der Sohn
Und tatsächlich: der Plan gelingt. Im Sommer des Jahres 1844 erscheinen drei Personen vor dem Magistrat der Stadt Wien. Maria Anna Strauß: sie will die Scheidung von Tisch und Bett. Johann Strauß Sohn, achtzehn Jahre alt: er gibt an, mit eigenem Orchester auftreten zu wollen. Und Johann Strauß Vater, der fordert, dem Sohn genau das zu verbieten. Aber: umsonst. Musiker ist ein freier Beruf, so lange Erwerbssteuer gezahlt wird, ist für den Magistrat alles in Ordnung.
Und so hält der Sohn des großen Strauß am 15. Oktober 1844 seine erste öffentliche Tanzveranstaltung mit eigenem Orchester ab. Im eleganten "Casino Dommayer", gelegen direkt neben dem Schloss Schönbrunn.
Der junge Strauß stellt an dem Abend erste eigene Kompositionen vor, die Zeitungsschreiber sind begeistert, und es zeigt sich, dass der Vater mit seinen Befürchtungen recht gehabt hat.
"Guten Abend, Strauß Vater," schreibt einer, "guten Morgen, Strauß Sohn". Und man bemerkt, dass bereits in den allerersten Stücken der Sohn genau dieselbe effektvolle Instrumentierung drauf hat wie sein Vater.
Eine Frage des Arrangements
Das ist in der Tat bemerkenswert. Und hat lange Zeit als Beweis eines außerordentlichen Talents gegolten. Bis sich der Musikhistoriker Norbert Linke die wenigen erhaltenen handschriftlichen Originalnoten der Strauß-Kapellen angesehen und festgestellt hat, dass der besondere Sound des Orchesters von Vater Strauß vor allem auf eins zurückzuführen war: auf professionelle Arrangeure, beschäftigt heimlich, unter der Hand, es sollte niemand wissen. Und dass das Orchester von Johann Strauß Sohn bei seinem Debutabend so geklungen hat wie das Orchester des Vaters, das kam vor allem daher, dass der Sohn dem Vater den Meisterarrangeur abgeworben hatte. Mit diesem Trick hat der junge Strauß einen fulminanten Senkrechtstart hingelegt, und die Wiener waren davon ausgesprochen angetan. Gleich zwei Strauß-Orchester und ein in aller Öffentlichkeit ausgetragenes Familiendrama: das versprach Musik, Tanz und vor allem Tratschgeschichten auf höchstem Niveau. Die nächsten Jahre waren gerettet.