26. Juli 1944 Josef Guggenmos schreibt mitten im Krieg über Gedichte
Dichten hilft immer, dachte sich Josef Guggenmos. In guten Zeiten ist Dichten einfach. Doch wenn es hart auf hart kommt, gehen einem mitunter die Reime und Gedanken aus. Nicht Guggenmos, er rettete sich mit Gedichten durch seine Zeit als Soldat im Zweiten Weltkrieg. Autorin: Katharina Hübel
26. Juli
Mittwoch, 26. Juli 2023
Autor(in): Katharina Hübel
Sprecher(in): Caroline Ebner
Redaktion: Susi Weichselbaumer
Josef Guggenmos hat eine Sache nie groß öffentlich gemacht. Eine Episode aus seiner Vergangenheit. Er gilt als beschaulicher Natur-Poet, dem auffällt, wenn ein Weberknecht ein Bein zu wenig hat, der jeden Vogel in seinem knorrig gewachsenen Garten persönlich kennt, jede Blume am Wegesrand mit lateinischem Namen benennen kann.
Beschaulich
Aufgewachsen am Waldrand nahe des bayerisch-schwäbischen Dorfes Irsee, in einem schiefen, sympathischen Häuschen mit blauen Fensterläden. Ein stiller, friedlicher Mensch, der gerne allein auf langen Wanderungen ist und ein großes Herz für Kinder hat. Für die er auch die meisten seiner Gedichte schreibt. Mit Charme, Wortwitz und naturkundlichem Sachverstand. "Was denkt die Maus am Donnerstag ... oh Verzeihung, sagte die Ameise ... im Erdreich wühlen die Würmer, die vielen, beim Wühlen fühlen, die Würmer, die vielen."
Grausig
Doch es gab eine Zeit davor. Eine Zeit vor der Idylle. Eine Zeit, in der Josef Guggenmos die meisten seiner Schulfreunde verloren hat. In der er nach Warschau geschickt wurde. In seinen Erinnerungen schreibt er: "Dort blieb ich nur etwa zehn Tage, lang genug, um einen Alptraum fürs Leben mitzunehmen." Ohne darauf vorbereitet zu sein, stand Josef Guggenmos vor dem Warschauer Ghetto und sah, wie zu Skeletten abgemagerte Leichen in eine Grube gekippt wurden. 1943 wurde er als Funker nach Estland verlegt. Nach "Reval"; die damalige Bezeichnung der Deutschen für Tallin. Und was machte Josef Guggenmos mitten im Zweiten Weltkrieg? Er leistete seine Schichten als Funker ab.
Doch nicht nur das. Am 26. Juli 1944 veröffentlichte er einen kleinen Artikel in der Revaler Zeitung: zwischen Ausführungen über Generalkommissar Litzmann, Oberbefehlshaber einer Armee, und die Kalifatspläne in Kairo, sind Josef Guggenmos‘ Zeilen abgedruckt: über das Gedicht. "Gedichte sind von weither. Sie haben Heimat an sich. Im Gedicht liegt das Bekenntnis zur guten Welt. Es ist der Glaube an Sinn und Bezogenheit des Lebens." Josef Guggenmos schrieb das, nachdem er fast sein Leben verloren hatte: Als am 9. März 1944 russische Soldaten Reval bombardierten, saß Josef Guggenmos gerade im Theater. Fliegeralarm. Tänzer, Zuschauer, Musiker, alle flüchteten in die Keller. Guggenmos schreibt: "Das Theater über uns steht in Flammen. Als es endlich still wurde und wir hinausgingen, bot sich ein unvergessliches Bild: ringsum ein einziges, goldenes zum Himmel loderndes Flammenmeer. Ich kann wohl sagen: Ich habe den Tod des alten Reval miterlebt." Und wie überlebte Josef Guggenmos? "Er dichtet behutsam ein kleines Gedicht, das er sich selber hundertmal spricht. Es ist sein Feuer im kalten Feld, an das er die blauen Hände hält."