2. April 1911 Die perfekte Frau: Katie Sandwina
Sie war „eine Akrobatin allerersten Ranges“, die „stärkste Frau der Welt“ und „das formvollendetste, schönste Weib der Welt“: die deutsch-amerikanische Zirkusartistin Katie Sandwina. Sie war in der Lage ihren 150 Pfund schweren Mann als Spielball zu benutzen und sogar ihn schließlich mit einem Arm zu stemmen. Autorin: Ulrike Rückert
02. April
Mittwoch, 02. April 2025
Autor(in): Ulrike Rückert
Sprecher(in): Irina Wanka
Redaktion: Frank Halbach
„Frau Sandwina packt ihren Ehemann, schleudert ihn wie eine Lumpenpuppe herum und schlingt ihn zu verschiedenen Arten von Knoten“, schrieb ein Reporter im März 1911 über die New Yorker Saisoneröffnung von Barnum and Bailey, dem größten und berühmtesten Zirkus der Welt. Drei Manegen, zwei Bühnen, Trapeze und Hochseile, und überall war gleichzeitig etwas los, mit zweihundert Nummern im Programm. Aber der Liebling von Publikum und Presse war Katie Sandwina, die mit ihrem Gatten auftrat, einen Kopf kleiner und neben ihr recht zierlich.
Die stärkste Frau der Welt
Der Werbechef des Zirkus nutzte die Begeisterung und lud die Zeitungsleute zu einem besonderen Event. Am 2. April versammelten sie sich und sahen zu, wie ein Dutzend Mediziner den „weiblichen Koloss“ untersuchten, wogen und vermaßen. Fünfundneunzig Kilo verteilten sich wohlproportioniert auf einen Meter achtzig. Ihr Bizeps maß eindrucksvolle fünfunddreißig Zentimeter, aber die Muskeln waren praktisch unsichtbar. „In jeder Hinsicht“, so der Befund, „ist sie eine perfekte Frau.“
Katie Sandwinas Aufstieg in den zirzensischen Olymp begann mit ihrer Geburt 1884 als Katharina Brumbach, Spross einer bayerischen Zirkusdynastie von Muskelprotzen beiderlei Geschlechts. Der Kult um die Körperkraft blühte, jeder Jahrmarkt und Zirkus hatte einen „stärksten Mann der Welt“. Auch starke Frauen waren beliebt, doch wenn zwei das Gleiche tun, ist es bekanntlich nicht dasselbe. Das Publikum bewunderte die starken Männer und bestaunte die Kraftakrobatinnen als bizarre Wesen aus der Verkehrten Welt.
Mit Ehemann Max trat Katie Sandwina in den Varietés europäischer Metropolen und in Amerika auf. Sie bog Eisenstangen zu Kringeln und riss Ketten entzwei, aber nichts begeisterte das Publikum so wie die Hebeakrobatik mit Max. Dabei war Männerstemmen eine Übung, die sich kaum eine Kraftakrobatin entgehen ließ. Aber die Inszenierung der Sandwinas barg in ihrer spielerischen Leichtigkeit eine subtilere Botschaft. Die traditionellen Macht- und Kräfteverhältnisse zwischen den Geschlechtern waren außer Kraft gesetzt, aber nicht einfach umgekehrt. „Die Nummer“, befand ein Kritiker, „wirkt wie ein gutes Glas Sekt.“
Inkarnierter Zeitgeist
Katie Sandwina war der inkarnierte Zeitgeist. Frauen verlangten das Wahlrecht, wollten studieren und eigenes Geld verdienen. Mediziner behaupteten, dafür sei ihre Konstitution zu schwach, und sportliche Körperertüchtigung führe zu Vermännlichung. Da war sie das lebende Exempel, das die schrillen Warnungen als Unfug entlarvte: bärenstark, aber ersichtlich kein „Mannweib“, sondern sanft gerundet, bildhübsch und Mutter eines drallen Wonneproppens – eine „perfekte Frau“.
Von New York ging Barnum and Bailey auf Tournee durch Amerika, einige Millionen Menschen sahen die Show, und Katie Sandwina war der Star der Saison.
Es war der Glanzpunkt ihrer Karriere, obwohl sie noch dreißig Jahre lang in Zirkus und Varieté ihre Muskeln spielen ließ. Dann kaufte sie mit Ehemann Max eine Grillbar in New York. Betrunkene setzte sie eigenhändig vor die Tür. Streifenpolizisten ermahnten sie gelegentlich: „Hau ihn nicht zu doll!“