2. Februar 1685 Charles II. hat kein Glück mit Wundertropfen
Mit einer Mixtur aus pulverisierten menschlichen Schädelknochen hoffte Charles II. von England seine Lebenskraft zurückzugewinnen. Die geheimnisvollen Tropfen hatten bereits eine lange Vorgeschichte - und wurden berühmt: unter dem Namen "The King's Drops". Autorin: Prisca Straub
02. Februar
Freitag, 02. Februar 2024
Autor(in): Prisca Straub
Sprecher(in): Hans-Jürgen Stockerl
Redaktion: Frank Halbach
Dem König geht es schauderhaft. Schon seit Wochen fühlt er sich bescheiden. Doch an diesem 2. Februar 1685 ist er mit flammenden Gliedern erwacht. Das Hirn scheint ihm zu explodieren! Zwar halten die Leibärzte diverse Kräuter parat, doch Charles II. schwört auf seine Lieblingsarznei - ein Extrakt aus menschlichen Schädelknochen! Und zwar nicht wie sonst nur acht bescheidene Tropfen, vermischt mit etwas Rotwein und feiner Schokolade ... Nein, heute verlangt der Monarch 50 Tropfen - pur, sofort und auf nüchternen Magen! Erschöpft lehnt sich King Charles zurück in die seidenen Kissen.
Die Schädeltropfen aus Dr. Goddard's "Kannibalen-Apotheke"
Immerhin: Mit den sagenumwobenen Wundertropfen experimentiert der König schon seit etlichen Jahren - seit er die geheime Rezeptur von Dr. Jonathan Goddard erworben hat, dem ehemaligen Leibarzt seines Vaters, einem hochangesehenen Mitglied der englischen Gelehrtengesellschaft. Die Hauptbestandteile des Medikaments sind: fein gemahlene Schädelknochen, getrocknete Schlangenhaut, geriebenes Hirschgeweih und eine Prise Elfenbein. Die Pulverlösung wird mehrfach destilliert und in handliche Portionen abgefüllt - ideal für ein stärkendes Schlückchen zwischen den aufreibenden Regierungsgeschäften. Allein - das Leben von König Charles senior hatten die Wundertropfen des Dr. Goddard seinerzeit nicht retten können: Charles I. war nicht mal 50-jährig im Bürgerkrieg geköpft worden.
Auf einen Umstand jedoch hatte Leichenmediziner Goddard schon damals vorausschauend hingewiesen: Menschenschädel seien routinemäßig nicht ohne weiteres zu bekommen. Zumal es von essenzieller Bedeutung sei, die Hirnschalen möglichst junger und vitaler Männer zu verwenden: "gehenkt oder geköpft", so hatte es Dr. Goddard hinterlassen.
Denn nur ein schneller, gewaltsamer Tod garantiere "optimale Qualität". - Und ein möglichst geräuschlos arbeitendes Netzwerk aus lokalen Henkern und Totengräbern.
Mit seiner Tropfen-Expertise hatte der Mediziner nach der Enthauptung von König Charles dann weiter therapiert. Und zwar ausgerechnet dessen Erzrivalen und Intimfeind Oliver Cromwell. So lange, bis Nieren- und Blasen-Steine den englischen Revoluzzer in die Knie zwangen. Wobei auch die übrigen Arzneien aus Dr. Goddard's "Kannibalen-Apotheke" sich als wenig wirksam erwiesen hatten - getrocknetes menschliches Muskelfleisch, Blut und Menschenfett.
Die Heilkraft der "King's Drops"
Dem Ruf der Schädeltropfen konnte das alles nichts anhaben. Im Gegenteil: Jahre später ist die Monarchie wieder regierungsfähig, und jetzt tüftelt König Charles II. höchstpersönlich an der Rezeptur. In seinem royalen Chemie-Labor testet er Schädel-Mischungen und gönnt sich mehrfach täglich ein Schlückchen Destillat. - Als er unerwartet schwer erkrankt und die Dosis immer weiter steigert, bleiben ihm noch vier Tage. Dann ist auch Charles junior tot. Was der Reputation der Tropfen wiederum nicht schadet. Königinnen, Bischöfe und Prinzen reißen sich um sie. Jetzt allerdings heißen Dr. Goddards Tropfen als königliches Heilmittel schlechthin: The King's Drops.