9. Dezember 2005 Letzte reguläre Fahrt der Doppeldeckerbusse in London
Der Routemaster, der rote Doppeldeckerlinienbus: ein Markenzeichen Londons – bis EU-Richtlinien das Fahrzeug verboten. Bürgermeister Boris Johnson konterte mit dem "Borismaster". Autorin: Julia Devlin
09. Dezember
Montag, 09. Dezember 2019
Autor(in): Julia Devlin
Sprecher(in): Johannes Hitzelberger
Illustration: Tobias Kubald
Redaktion: Frank Halbach
Der neunte Dezember 2005 war ein schwerer Tag für London. Das Ende einer Ära. An diesem Tag fuhren die roten Doppeldeckerbusse, die Routemaster, ein letztes Mal durch die Hauptstadt Großbritanniens.
Eine leichte Ikone
Niemand hätte geahnt, dass der bullige rote Bus eine Ikone werden sollte. Nein, als britische Ingenieure ihn Ende der Vierziger entwarfen, sollte er einfach nur die nächsten 17 Jahre halten - das war die ursprünglich angedachte Lebensdauer - und möglichst wenig Ressourcen verbrauchen. Der Krieg war noch nicht lange vorbei, und die Schöpfer des neuen Busses hatten eine Lektion aus dem militärischen Flugzeugbau gelernt. Nämlich eine dünne Aluminiumhaut über ein dünnes Metallskelett zu ziehen. Der Bus, dass sah man ihm nicht an, war ein Leichtgewicht. So sparte man Treibstoff.
Elisabeth die Zweite saß noch nicht lange auf dem Thron, da begann der Routemaster auf Londons Straßen zu rollen. Schnell avancierte er zu einem Wahrzeichen, geliebt von Touristen und Einheimischen gleichermaßen. Die briefkastenrote Farbe, das kühne Muster der Sitzpolster, die freche Reklame auf den Außenseiten und das eingerückte Fahrerhäuschen, dieser Bus war einfach ein Charakter, eine Legende auf Rädern. Der Clou war natürlich die offene Plattform im Heck. Sie ermöglichte das Ein- und Aussteigen auch zwischen den Haltepunkten und war einer der Gründe für die große Beliebtheit des Routemasters, auch wenn diese Vorrichtungen einigen Passagieren das Leben kostete. Jährlich starben im Durchschnitt pro Jahr zwei Menschen bei Unfällen, weil sie von der Plattform fielen oder beim Aussteigen überfahren wurden. Doch das nahmen die Fans des Routemasters in Kauf - möglicherweise Ausdruck des ungezähmten britischen Individualismus.
Charakterloser Mercedes
Man kann ohne Übertreibung sagen, der Bus war Teil der Londoner Identität. Doch seine Stunde schlug.
Londons Bürgermeister Ken Livingston fand die Busse zu gefährlich, und außerdem entsprachen sie nicht der Inklusionsrichtlinie der Europäischen Union. Aus Brüssel monierte man, dass kein Rollstuhlfahrer mit dem Routemaster fahren könnte. So wurde der Doppeldeckerbus durch einen Gelenkbus ersetzt, den allseits verhasste bendy bus, ein einstöckiges, langgestrecktes Vehikel, das in den verwinkelten Londoner Straßen wie eine Barrikade wirkte, ein charakterloses Aussehen hatte und noch dazu, horribile dictu, ein Mercedes war. Lang konnte sich Ken Livingstone nicht an den deutschen Gelenkbussen erfreuen. Gerade mal drei Jahre. Dann wurde er herausgefordert durch einen gewissen Alexander Boris de Pfeffel Johnson, der in den Wahlkampf ums Bürgermeisteramt zog mit dem Versprechen, den Routemaster zurückzubringen. Ken hatte einen Riesenfehler gemacht: Nämlich den Londonern das wenige wegzunehmen, was sie an ihrem public transport mochten. Boris machte also das Rennen, zog die Gelenkbusse aus dem Verkehr und brachte eine neue, moderne Version des Routemasters in Umlauf, mitsamt offener Plattform. Sie werden auch Borismaster genannt.
Man sollte niemals Symbole unterschätzen. Sie sind stark, denn an ihnen entzünden sich Gefühle. Wer weiß, vielleicht wäre die Geschichte Großbritanniens anders verlaufen, hätten die Routemasters, diese Könige der Straße, weiter ungestört ihre Kreise ziehen dürfen?