8. Juli 1947 Lokalzeitung erfindet Roswell-Mythos
Ufo oder doch Wetterballon? Die Frage beschäftigt den Ort Roswell jahrzehntelang: Sind auf diesem Fleckchen der USA Außerirdische gelandet oder war es eine Zeitungsente? Und was wissen FBI, CIA und Co.? Autor: Simon Demmelhuber
08. Juli
Mittwoch, 08. Juli 2020
Autor(in): Simon Demmelhuber
Sprecher(in): Christian Baumann
Illustration: Tobias Kubald
Redaktion: Frank Halbach
Alles unter der Sonne hat seine Zeit, sagt der Prophet. Mit Geschichten ist es nicht anders. Auch sie haben ihre eigene Zeit. Manche zünden sofort, manche brauchen ewig, bis ihre Stunde schlägt. Eine dieser Geschichten mit Zündverzögerung beginnt 1947 im Nordwesten der USA. Ende Juni sieht ein Hobbypilot am Mount Rainier fliegende Scheiben rasend schnell durch die Wolken wischen. Zeitungen und Radiosender schnappen die Sache auf, kurz darauf hat ganz Amerika UFO-Fieber.
Unbekannte Flugobjekte
Zwei Wochen später gehen über New Mexico schwere Gewitter nieder. Farmer fürchten die Juli-Unwetter und ihre Blitze, die immer wieder Weidevieh töten. Darum bricht Will Brazel nach einer Sturmnacht früh auf, um seine Rinder zu inspizieren. Die Tiere sind gesund, aber die Prärie ist übersät mit seltsamem Zeug: Gummistreifen, Holzsplitter, Klebeband, Alufolie und Papier, alles zerfetzt und weit verstreut. Was zum Teufel ist das? Brazel schafft einige Trümmer zum Sheriff von Roswell, der beim nahen Luftwaffenstützpunkt nachhakt.
Der Presseoffizier sichtet die Funde und greift aufgeregt zum Telefon. Tags drauf, am 8. Juli 1947, macht der Roswell Record mit einer grellen Schlagzeile auf: "Air Force erbeutet Fliegende Untertasse auf Ranch!"
Kaum ist die Meldung draußen, pfeift das Militär die UFO-Party ab: Sorry, Fehlalarm! Nur ein havarierter Wetterballon. Das war´s, zumindest fürs Erste. 30 Jahre ist die Geschichte tot. Amerika führt inzwischen ein paar Kriege, erobert den Mond, macht das Fernsehen bunt. Dann kommt Watergate und mit dem Skandal ein böser Verdacht: Die da oben haben alle Dreck am Stecken und alle lügen wie gedruckt.
Das ist der Dünger, den Charles Berlitz braucht. Der Autor mit dem Händchen fürs Spekulative entstaubt die alte Untertassengeschichte und bläst sie zum kosmischen Watergate auf. Er gräbt Zeugen aus, die Ungeheures beschwören: 1947 ist in Roswell kein Wetterballon, sondern ein UFO abgestürzt. Das Wrack und die Leichen außerirdischer Piloten lagern in einem Geheimversteck.
Eingeweihte Militär- und Regierungskreise wissen Bescheid, halten die Wahrheit aber unter einem Tarnnetz aus Lug und Trug verborgen.
Dumm ist nur eins: Die Air Force hat tatsächlich gelogen. In den 1990er Jahren bestätigen amtliche Berichte eine gezielte Vertuschungskampagne. Was Brazel fand, waren Trümmer eines streng geheimen Aufklärungsballons, der russische Atomtests ausspionieren sollte. Das späte Geständnis heizt den Argwohn erst richtig an. Die Internationale missionarischer Durchblicker und Erkenntniseigner salbt Roswell zum Kronzeugen eines gigantischen Komplotts, geplant und ausgeführt von wahlweise CIA, FBI, Armee, Regierung oder anderen Standardverdächtigen.
Roswell selbst hat sich mit der Absturzlegende bestens arrangiert. Ein Alien-Museum, Ausflüge zu mittlerweile fünf authentischen Crash-Sites, Untertassen-Nippes und Verschwörungsdevotionalien locken Scharen frommer UFO-Pilger an. Und alle wollen nur eins: Glauben! Glauben an Weltraumbesucher und glauben an den Endsieg unterdrückter Wahrheiten. Na dann: Aluhut auf und rein ins Vergnügen!