Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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3. Oktober 2007 Riesenspinne vor Londoner Kunsthalle

An "Maman", ihrer Mutter, hängen zarte Erinnerungen für Louise Bourgeois. Ihr widmete die Künstlerin tonnenschwere Riesenspinnen zum Andenken. Eine spreizt sich am 3. Oktober 2007 vor der Londoner Tate Modern auf. Sie ist über neun Meter hoch und trägt einen Beutel, der 26 Marmoreier enthält. Autorin: Prisca Straub

Stand: 03.10.2024 | Archiv

03.10.2007: Riesenspinne vor Londoner Kunsthalle

03 Oktober

Donnerstag, 03. Oktober 2024

Autor(in): Prisca Straub

Sprecher(in): Ilse Neubauer

Redaktion: Frank Halbach

Sie ist ruppig, unfreundlich, und wer sie interviewen will, braucht starke Nerven: Louise Bourgeois sitzt am Tisch ihrer New Yorker Wohnung und zerpflückt ein Stück Brot nach dem anderen. Bis wenige Wochen vor ihrem Tod knetet die fast 100-jährige Bildhauerin Brotkrumen zwischen den Fingern. Das habe sie schon als Kind gemacht - wenn der Vater am Esstisch seine schier endlosen Reden schwang. Aus Brot formt Louise ihre ersten Skulpturen. Ihre Künstler-Biografie beginnt beim Abendessen.

"Ich vergebe und vergesse nichts!"

In der Nähe von Paris betreibt die wohlhabende Familie Bourgeois eine Reparaturwerkstatt für historische Tapisserien. Die kostbaren Bildteppiche sind meist am unteren Ende eingerissen - oft fehlen die Füße der dargestellten Personen. Als der Entwurfszeichner eines Tages ausfällt, springt die 12-jährige Louise ein. Sie macht die Zeichnungen, nach denen die Mutter die verloren gegangenen Teile der Wandteppiche ergänzt - und macht sich schnell beliebt: Das Mädchen wird zur regelrechten Expertin im Zeichnen von Füßen.
Während die Mutter die Fäden in der Hand hält - näht und ausbessert, webt und stopft - betrügt sie der Vater mit dem Kindermädchen. Anders als die Mutter, die den Ehebruch jahrelang klaglos erträgt, bekennt die Tochter am Ende ihres Lebens: "Ich vergebe und vergesse nichts!" Da lebt Louise Bourgeois schon lange als Künstlerin in New York - und arbeitet noch immer mit Textilien: Fragmente aus der elterlichen Tapisserie-Werkstatt tauchen in ihren Installationen auf - kostbar und farbenfroh - verschlissen und verlebt - ein Stück gewebte, persönliche Geschichte.
Jedes Kleidungsstück, das sie jemals getragen hat, hat Louise Bourgeois aufgehoben - jeden Strumpf, jedes bestickte Taschentuch.
Die Arbeit mit Nadel und Faden wird ihre künstlerische Ausdrucksform: Sie trennt auf und fügt zusammen. Sie verknüpft getragene Kleider, Decken und Kissenbezüge zu Stoffbildern und hängt Seidenhemdchen und Spitzenunterwäsche auf überdimensionale Bügel.
Doch der amerikanische Kunstbetrieb nimmt die gebürtige Französin lange nicht zur Kenntnis. Sie ist bereits über 70 - da widmet ihr das New Yorker Museum of Modern Art eine erste Einzelausstellung: Mit einem Satz ist die Ausnahmefrau mit dem faltigen Lächeln eine weltweit erfolgreiche Künstlerin.

Angst, Ekel, Mutterliebe

Die Arbeit mit Textilien ist für Louise Bourgeois Sinnbild des Mütterlichen - verknüpft mit den zärtlichsten Erinnerungen: Ihre eigene Mutter sei geduldig, beschützend und fleißig gewesen - unermüdlich beim Herstellen und Reparieren von Gewebe - wie … eine Spinne. Als späte Hommage an ihre Mutter stellt Bourgeois 1999 eine erste Spinnen-Skulptur auf die Beine. Ein monumentales, fast zehn Meter hohes Tier - in Bronze gegossen - jedes ihrer acht Stelzen-Beine über eine Tonne schwer. Die Riesin hört auf den liebevollen Namen "Maman", das französische Wort für Mutter.
Seitdem kriechen die Tiere der Spinnen-Serie quer über den Globus. Die Giganten machen es sich gemütlich vor den wichtigsten Kunststätten zwischen New York und Tokio; sie stemmen ihre Beine von St. Petersburg bis Hongkong in den Boden. Am 3. Oktober 2007 bezog "Maman" ein Domizil vor dem weltweit größten Museum für moderne Kunst, der Londoner Tate Modern.
Eine Riesenspinne - für manche der Inbegriff von Angst und Ekel.
Aber auch ein Sinnbild für Mutterliebe? Für Louise Bourgeois jedenfalls hatte "Maman" nichts Furchterregendes. Im Gegenteil: Wann immer sie unter ihrer Kolossal-Spinne stand, konnte sie so etwas wie Geborgenheit empfingen.


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