1. November 2012 "Mind the Gap" - Londoner U-Bahn-Stimme vermisst
Jahrzehntelang warnte Oswald Lawrence im Londoner Untergrund die Fahrgäste davor, in die Lücke zwischen U-Bahnwaggon und Bahnsteig zu stürzen. Seine Witwe war erschüttert, als die Aufnahme mit seiner Stimme plötzlich ersetzt wurde. Dann kam Oswalds "Mind the Gap" zurück. Autorin: Prisca Straub
01. November
Freitag, 01. November 2024
Autor(in): Prisca Straub
Sprecher(in): Irina Wanka
Redaktion: Susi Weichselbaumer
Das Umsteigen in der Londoner U-Bahn ist für Margret McCollum immer ein besonderer Moment. Seit vielen Jahren lässt sie an der Haltestelle Embankment gerne ein paar Züge vorbeifahren, bevor sie selbst zusteigt. Margret steht dann regungslos am Bahnsteig - und lauscht: Das Tosen der einfahrenden Tube ist hier besonders schrill. Doch Margret hört etwas anderes. Etwas Angenehmes, sogar Vertrautes. Bis sie am 1. November 2012 plötzlich die Fassung verliert: "Die Stimme! Wo ist die Stimme geblieben?" Die Aufsicht am Bahnsteig ist kurz davor, den Notarzt zu rufen: "Welche Stimme, Madam? Was meinen Sie?" - "Mein Mann", ruft Margret, "Oswald! Er ist nicht mehr da! Ich höre ihn nicht mehr!"
Witwe vermisst Londoner U-Bahn-Stimme
Die Northbound Plattform der U-Bahnstation Embankment ist schmal und ungewöhnlich stark gekrümmt: Beim Halt der Waggons führt das unweigerlich zu klaffenden Abgründen zwischen Zug und Bahnsteigkante: "Mind the Gap!" - Seit den 1960er Jahren hatte Margrets Ehemann Oswald davor gewarnt, ins Straucheln zu geraten und nicht in diese Lücke zu stürzen!Tausendfach täglich, auf der gesamten Northern Line: "Mind The Gap!" - Die volle, wohltönende Stimme eines ausgebildeten Schauspielers. Und nicht zu überhören! Inzwischen aber auch ein wenig streng und eine Spur von oben herab. Zumindest für den heutigen Geschmack.
Die Betreibergesellschaft "London Underground" nimmt es nämlich sehr ernst mit ihren Sicherheitshinweisen. Sie veranstaltet monatelange Castings, aufwendige Probeaufnahmen mit professionellen Sprechern. In Fahrgastbefragungen werden unterschiedliche "Mind the Gap"-Stimmen auf Sympathie geprüft.
Die Stimme im Untergrund muss angenehm sein, man hört sie ja jeden Tag! Heute soll die Warnung vor dem Abgrund allerdings weniger nach Vorschrift klingen. Eher wie ein besorgter Freund. Jemand der Dich sacht am Arm nimmt und Dir beim Ausfallschritt über die Lücke hilft.
Oswalds Stimme kommt zurück
Oswald Laurences' strenge Ermahnung war also seit einiger Zeit schon unmerklich aus dem U-Bahnverkehr gezogen worden. Station für Station. Bis auf eine einzige Plattform an einer einzigen "Tubestation": Embankment. Der letzte Ort, an dem Oswald mit fester Stimme täglich aufgefordert hatte, auf sich aufzupassen. Auch Jahre noch nach seinem Tod. Gerade hier, auf dem überfüllten Bahnsteig, konnte Margret McCollum wunderbar der alten Vertrautheit nachspüren. Bis Oswald plötzlich auch dort verstummt war.
Margret hat es dann einfach probiert: Sie hat mit der U-Bahngesellschaft gesprochen und ihre Geschichte erzählt. Und "Transport for London" hat tatsächlich reagiert und Oswald an der "Tube Station" Embankment wieder eingesetzt. Seine Durchsage klingt heute wie aus der Zeit gefallen, deutlich anders als im ganzen Rest der Londoner Underground. Margret hat eine Kopie der Originalaufnahme bekommen - für daheim: "Mind the Gap!" - "Thank you, darling! I will!"